Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar 21 8br. [Dienstag] 1800.

Ich weiß nicht, welcher von uns beiden dem andern einen Brief schuldig ist; wahrscheinlich bin ich der Debitor und in diesem Fall wirst Du mir meine Faulheit freundlich vergeben. Du weißt, wenn ich nicht schreibe, so stecke ich in der Arbeit, und dann bleibt alles liegen. Da Du aber diese Unart nicht in dem hohen Grade hast wie ich und mehr über Deine Natur gebieten kannst, so könntest Du mich zuweilen mahnen, und mir von Dir und den Deinigen ein Lebenszeichen geben. Bei uns ist, seit meinen letzten Nachrichten alles geblieben, wie es war, auch meine Gesundheit war immer auf gutem Wege, so daß ich meine neue Lebensweise in Rücksicht auf Bewegung und Ausgehen fortsetzen konnte. Aber in der Arbeit rücke ich sehr langsam fort. Die Expositionen kosten mir immer viel Kopfbrechens bis ich mich erst in dem Sattel fest gesetzt habe. Ich bin aber gutes Muths für das Unternehmen, wenn ich gleich voraussehe, daß es mir den ganzen Winter genug zu thun geben wird. 

Wegen meiner Gedichte habe ich Dir noch nicht geantwortet. Nicht alle Stücke, die ich weggelassen, sind darum von mir verworfen; aber sie konnten nicht in ihrer alten Gestalt bleiben, und eine neue Bearbeitung hätte mehr Zeit erfordert, als ich dießmal daran wenden konnte. Verschiedene, wie die Künstler, habe ich wohl zwanzigmal in der Hand herum geworfen, ehe ich mich decidierte. Deinen Gedanken wegen dieses Gedichts hatte ich anfangs auch aber er ist nicht auszuführen. Leider ist dasselbe durchaus unvollkommen und hat nur einzelne glückliche Stellen, um die es mir freilich selbst leid thut.

Die Freude hingegen ist nach meinem jetzigen Gefühl durchaus fehlerhaft und ob sie sich gleich durch ein gewißes Feuer der Empfindung empfiehlt, so ist sie doch ein schlechtes Gedicht und bezeichnet eine Stufe der Bildung, die ich durchaus hinter mir lassen mußte um etwas ordentliches hervorzubringen. Weil sie aber einem fehlerhaften Geschmack der Zeit entgegenkam, so hat sie die Ehre erhalten, gewissermaaßen ein Volksgedicht zu werden. Deine Neigung zu diesem Gedicht mag sich auf die Epoche seiner Entstehung gründen; aber diese giebt ihm auch den einzigen Werth, den es hat, und auch nur für uns und nicht für die Welt noch für die Dichtkunst. 

Ueber einzelne Aenderungen in den abgedruckten Gedichten, die Dir vielleicht jetzt nicht ganz recht sind, könnten wir manche unterhaltende Discussion haben, und werden es auch, wenn wir einmal zusammen kommen. Ob ich gleich selbst nicht mit allen ganz zufrieden bin, so kann ich doch der Maxime, die mich geleitet haben, nichts vergeben1

Göthe ist von seiner Excursion nach Jena wo er etwas zu arbeiten hoffte, längst zurück, hat aber nur etwas weniges vom Faust gearbeitet, welches aber vortreflich ist. Im Ganzen bringt er jetzt zu wenig hervor, so reich er noch immer an Erfindung und Ausführung ist. Sein Gemüth ist nicht ruhig genug, weil ihm seine elenden häusslichen Verhältnisse, die er zu schwach ist zu ändern, viel Verdruß erregen. 

Humboldts werden jetzt jede Woche erwartet. Du sollst Nachricht haben, sobald sie kommen. Ich habe von der Geisterseherey nichts gehört und glaube auch nicht daran, wenigstens halte ich es nicht für so ernsthaft. 

Lebe wohl. Herzliche Grüße von uns an Euch alle.

Dein 

Sch.


1 Die Veränderungen sind im 11. Thle. der S. Schr. sämmtlich angezeigt.


Bemerkungen

1 Zu S. 211. Z. 7. Körner hatte gemeint, aus dem Gedicht: die Künstler könnten zwei gemacht werden, und namentlich der historische Teil würde ein treffliches Gedicht abgeben. Zu Z. 18. Die „Freude“ entstand 1785 in Dresden. Zu Z. 34. Der Verdruß entstand wohl daher, daß die Weimarischen Frauen an Goethes Verhältnis zur Vulpius Anstoß nahmen. Erst als diese ihn in einer Krankheit Anfang 1801 auf das treuste gepflegt hatte, bot Goethe allem Gerede Trotz und suchte sein festes Verhältnis zu Christiane auch äußerlich erkennbar zu machen. Er scheute sich nicht, sie bei Spaziergängen an seiner Seite zu haben und ließ sie, als die Hofdamen bei ihm speisten, bei Tische die Honneurs machen und die Hofdamen zum Wagen geleiten. Vgl. Fielitz, Goethes Briefe an Frau v. Stein II. Bd. S. 394. Vgl. ferner Goethe an Sch. vom 23. Sept. 1800: „Um mir nicht den Fluch der Ehefrauen noch mehr zuzuziehen, als er schon auf mir liegt“ etc. Körner hat Goethes Verdruß in Z. wohl treffend erklärt durch die Worte: „Er kann von andern keine Achtung für sie (Christiane) und die Ihrigen erzwingen. Und doch mag er nicht leiden, wenn sie gering geschätzt wird.“ Ob Schiller als erwünschte Aenderung in Goethes Verhalten zu Christiane die Ehe oder die Lösung des Verhältnisses betrachtete, kann ich mit Sicherheit nicht sagen. Nach Nr. 1639 scheint er dem Freunde die Kraft zur Lösung des Verhältnisses gewünscht zu haben, wenn er auch nicht verkennt, daß Goethes Festhalten des Verhältnisses „mit einem sehr edlen Teil seines Charakters zusammenhänge.“ Später scheint Schiller sich etwas auch Christianen genähert zu haben. Als Schiller bei der Geburt einer Tochter Goethes seinen Anteil versichert hatte, bestellt ihm Goethe im Brief vom 19. Dez. 1802 Empfehlungen der Mutter: [sie] „fühlt den Werth Ihres Antheils.“
Zu S. 212. Z. 2. Vgl. zu Nr. 1627.