Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar, 5. Januar [Montag] 1801.

Herzlich begrüßen wir euch zum neuen Seculum und freuen uns von ganzer Seele, daß wir es alle miteinander mit Glück und Hofnung beginnen. Wir werden in diesem neuen Jahrhundert, wie ich gewiß weiß, keine herzlichere Freundschaft schließen, als die unsrige ist und mögen wir uns nur noch recht lang derselben freuen und es erleben, sie in unsern Kindern fortgesetzt zu sehen. 

Ich wünsche Dir Glück, daß Du Deine Umstände so gut verbeßert hast. Wenn sich Deine Arbeiten nicht zugleich merklich häufen, so ist dieser Zuwachs allerdings sehr beträchtlich; aber eine gewiße Freiheit und Musse muß Dir bleiben, wenn Du glücklich seyn sollst, denn das philosophische und aesthetische Wesen ist ein integranter Theil Deines Wohlseyns. 

Ich habe das alte Jahrhundert thätig beschloßen, und meine Tragödie, ob es gleich etwas langsam damit geht, gewinnt eine gute Gestalt. Schon der Stoff erhält mich warm; ich bin mit dem ganzen Herzen dabei, und es fließt auch mehr aus dem Herzen, als die vorigen Stücke, wo der Verstand mit dem Stoffe kämpfen mußte. 

Wir haben unsre Secularischen Festlichkeiten nicht ausführen können, weil sich Partheien in der Stadt erhoben und auch der Herzog den Eclat vermeiden wollte. Es ist auch nichts erfreuliches produciert worden, das ich Dir mittheilen könnte. Etwas poetisches zu machen war überhaupt mein Wille nicht, es sollte bloß Leben und Bewegung in der Stadt entstehen. Am Neujahrsabend wurde die Schöpfung von Heidn aufgeführt, an der ich aber wenig Freude hatte, weil sie ein charakterloser Mischmasch ist. Dagegen hat mir Glucks Iphigenia auf Tauris einen unendlichen Genuß verschafft, noch nie hat eine Music mich so rein und schön bewegt als diese, es ist eine Welt der Harmonie, die gerade zur Seele dringt und in süßer hoher Wehmuth auflößt. 

Dein Urtheil über Tieks Genovefa ist auch ganz das meinige; er ist eine sehr graziose, phantasiereiche und zarte Natur, nur fehlt es ihm an Kraft und an Tiefe u: wird ihm stets daran fehlen. Leider hat die Schlegelsche Schule schon viel an ihm verdorben, er wird es nie ganz verwinden. Sein Geschmack ist noch unreif, er erhält sich nicht gleich in seinen Werken und es ist sogar viel Leeres darinn. Ich bin begierig, wie er Dir von Person gefallen wird. Vor anderthalb Jahren habe ich ihn gesehen, wo er sehr anspruchslos und auch interessant war; ich fürchte aber, es hat sich indessen viel mit ihm verändert. 

Wielands Aristipp lese ich eben jezt, und unterschreibe Dein Urtheil darüber vollkommen. Wenn man es nur nicht als eine aesthetische Composition betrachtet, so hat es recht viel gutes; freilich mag man seine Ideale nicht, und weder seine Lais noch sein Aristipp haben mich erobert. 

Fichtes Werk kenne ich noch nicht. 

Hast Du Goethes neuestes Product1 in Seckendorfs Taschenbuch gelesen? Wenn Du es noch nicht kennst, so will ich Dirs schicken. Auch mache ich Dich auf eine Schrift aufmerksam, welche Schlegel gegen Kotzebue geschrieben: Ehrenpforte und Triumphbogen für den TheaterPraesidenten Kotzebue. Sie ist freilich unendlich derb und grob, aber den Witz kann man ihr nicht absprechen. 

Lebewohl. Herzlich umarmen wir euch alle. 

Dein 

Sch.


1 Paläofron und Neotrope in Seckendorfs Neujahrs Taschenbuch auf d. J. 1801.


Bemerkungen

1 Zu S. 234. Z. 10. Körner war als Geheim-Referendar um eine Stelle aufgerückt und erhielt damit Sporteln im Betrag von 500 Thlrn. Zu Z. 28. Auch Körner urteilte in Z., daß die Schöpfung von Haydn als Ganzes kalt sei, wenn auch für den Musiker viel in diesem Werke zu studieren sei.
Zu S. 235. Z. 20. Körner hatte über Fichtes geschlossenen Handelsstaat ungünstig geurteilt. Zu Z. 21. Paläophron und Neoterpe. Zu Z. 24. Vgl. Schs. Urteil in Nr. 1650.