Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 13. März [Freitag] 1801. 

Die Schilderung die Sie von Hartmann machen läßt mich recht bedauern, daß man ihn in die wilde Welt muß hingehen sehen, ohne sich einer so guten Acquisition für das rechte ganz versichern zu können; denn wie nahe man einander auch in einem ernstlichen Umgang von einigen Tagen oder Wochen kommen kann, so kann einen doch nur eine stetige Fort- und Wechsel-Wirkung im Einverständniß erhalten. 

Schade ists, was die KunstCritik in den Propyläen betrift, daß man die Stimme so selten erheben kann, und einen Eindruck den man gemacht, nicht so schnell wieder durch einen neuen zu secundieren Zeit hat. Es würde sonst gewiß gelingen, die Künstler und Kunstgenoßen aus ihrer faulen Ruhe zu reißen, schon der Unwille über unsre Urtheile verbürgt mir dieß. Daher wollen wir es ja im nächsten Falle recht viel weiter treiben, und Meier muß uns in den Stand setzen, den Schaden specialiter zu treffen und die falschen Maximen recht im einzelnen anzugreifen. 

Von dem Stück, das Sie mir zugesendet, ist nichts gutes zu sagen; es ist abermals ein Beleg, wie sich die hohlsten Köpfe können einfallen lassen etwas scheinbares zu producieren, wenn die Litteratur auf einer gewissen Höhe ist und eine Phraseologie sich daraus ziehen läßt. Dieses Werk in specie ist doppelt miserable, weil es gegen den Gerstenbergischen Ugolino ein ungeheurer Rückschritt ist, denn diese Tragödie, welche Sie vielleicht nicht kennen hat sehr schöne Motive, viel wahres Pathos und wirklich genialisches, obgleich sie kein Werk des guten Geschmacks ist. Man könnte versucht seyn, sich derselben zu bedienen, um die Idee der Tragödie daran aufzuklären, weil wirklich die höchsten Fragen darinn zur Sprache kommen. 

Ich habe diesen Mittag mit Ziegesar u. andern bei Lodern essen müssen und bin diesen Abend zu einem Kränzchen eingeladen. Die Abende gehen meistentheils in Gesellschaft hin, und ich kann eher über zu viel Zerstreuung als über zu wenige Unterhaltung klagen. 

Doch geht es mit meiner Arbeit besser, ich habe auch wieder mehr Muth und sehe etwas entstehen. 

Leben Sie recht wohl. Viele Grüße an Meiern.

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 251. Z. 24. Ferdinand Hartmann war nach der Allgemeinen deutschen Biographie am 14. Juli 1774 in Stuttgart geboren, also noch nicht, wie Goethe in X. gemeldet hatte, 28 Jahr alt. Daß er in die „wilde Welt“ gegangen, ist in der Allgem. Deutsch. Biographie nicht angemerkt.
Zu S. 252. Z. 6. Hartmann hatte nach X. an Meyer erzählt, daß in Stuttgart große Bewegung und Unzufriedenheit über die Kunsturteile in den Propyläen herrsche. Zu Z. 11. Nach Düntzer war das Stück, Böhlendorfs Ugolino Gherardesca, das Goethe in der Jen. Allgem. Litt. Zeit. vom 14. Febr. 1805 sehr ungünstig recensierte. Vgl. X. u. Cotta an Sch. vom 10. März 1801. Zu Z. 23. Geheimerat Karl v. Ziegesar auf Drackendorf bei Jena (Düntzer).