Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Friedrich Schelling

Weimar, den 12 Mai [Dienstag] 1801.

Meinen besten Dank, lieber Freund, für Ihre Schrift, deren Anfang und erste Sätze mich gleich sehr aufmerksam gemacht haben, weil Sie die Sache von einer trefflichen Seite fassen, freilich wohl auch von der schwersten. Ich sehe z. B. recht gut, wie viel Sie, negativ, auf diesem Wege gewinnen, um nämlich mit Einem Mal alle die alten hartnäckigen Irrthümer aus dem Wege zu schaffen, die Ihrer Philosophie ewig widerstrebten; aber ich kann noch nicht ahnden, wie Sie Ihr System positiv aus dem Satz der Indifferenz herausziehen werden. Daß Sie es gethan haben, zweifle ich nicht und bin desto begieriger, auf die Lösung des Knotens. 

Fichtens Schrift folgt hier mit Dank zurück, sie enthält sehr viel Braves und treffendes, schade nur, daß er sich von der Prosa seines Stoffes zu sehr hat anstecken lassen. Eine schwere Aufgabe ist es freilich über Nicolai zu schreiben und durchaus geistreich zu bleiben, aber mir däucht, es hätte doch auf einem andern Weg noch besser gelingen können. entweder, dünkt mir, mußte der Gegenstand ganz philosophisch tractirt werden, Fichte mußte den Ur- und Grundcharakter des Philisters zeichnen und ihn ganz zum genus erheben; dies mußte mit der Miene des höchsten philosophischen Ernstes, ja der Würde geschehen, etwa wie Machiawell de Principe geschrieben und auf die treuherzigste Weise eine furchtbare Satire auf die Fürsten gemacht hat. Oder es mußte poetisch geschehen und als ein Gegenstück zu Sebaldus Nothanker ausgeführt werden. Die Natur des Individuums mußte in Handlung erscheinen und zur Anschauung gebracht werden. In beiden Fällen behielt die Schrift einen absoluten Werth, auch wenn nur Ein Nicolai in der Welt gewesen wäen. Jetzt ist sie bloß eine verständige polemische Schrift, in der man sieht, daß Fichte für seinen Gegner zu gut und dieser des Kampfes nicht werth ist. 

Hier eine Maria Stuart und der Abdruck einiger früherer philosophischer Abhandlungen. Nehmen Sie beides freundlich und gütig auf. Wenn Sie in einer müßigen Stunde meinen Aufsatz über ästhetische Erziehung ansehen wollen, so sagen Sie mir doch, wenn wir uns wiedersehen, wie sich diese Vorstellung der Sache zu dem jetzigen Standpunkt der Philosophie verhält. Sie müssen freilich manches dem Zeitmoment zu gute halten, worin vor sechs Jahren noch die Philosophie stand, und nur auf die Tendenz überhaupt, nicht auf die noch viel zu dogmatische Ausführung sehen. 

Auf den Sonnabend ist Cotta hier und Wallenstein wird gegeben. Es wäre schön, wenn Sie herkommen könnten und nach dem Stück mit Cotta und Goethe bei mir zu Abend äßen. Sagen Sie es auch Niethammer, ob er vielleicht Lust dazu hat. 

Leben Sie recht wohl und seien meiner herzlichen Freundschaft versichert. 

Schiller.


Bemerkungen

1 Zu Z. 3. Schellings Schrift: Darstellung meines Systems der Philosophie. Nach der Allg. Deutsch. Biographie erschien diese Schrift erst Ende 1801. Vielleicht hatte Schelling hier das Manuskript an Schiller eingesandt, sicherlich wohl aber erst ein Bruchstück. Zu Z. 14. Fichtes Schrift: Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen etc. Tübingen, Cotta 1801.
Zu S. 276. Z. 3. Vgl. K.: Schelling, Maria, Prosaische Aufs.