Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar 13. May [Mittwoch] 1801.

Ich vergaß neulich bei Uebersendung meines Stücks Dir den, dazu bestimmten Brief beizulegen. Da er einmal geschrieben ist, so lege ich ihn hier bei1 und füge noch einige Worte hinzu. 

Ich habe in diesen 14 Tagen noch zu keinem festen Entschluß in Absicht auf meine künftige Arbeit kommen können. In meinen Jahren und auf meiner jetzigen Stuffe des Bewußtseyns ist die Wahl eines Gegenstandes weit schwerer, der Leichtsinn ist nicht mehr da, womit man sich in der Jugend so schnell entscheiden kann und die Liebe, ohne welche keine poetische Thätigkeit bestehen kann, ist schwerer zu erregen. In meiner jetzigen Klarheit über mich selbst und über die Kunst die ich treibe, hätte ich den Wallenstein nicht gewählt. 

Ich habe große Lust, mich nunmehr in der einfachen Tragödie, nach der strengsten griechischen Form zu versuchen, und unter den Stoffen, die ich vorräthig habe, sind einige, die sich gut dazu bequemen. Den einen davon kennst Du, die Maltheser; aber noch fehlt mir das Punctum saliens zu diesem Stück, alles andere ist gefunden. Es fehlt an derjenigen dramatischen That, auf welche die Handlung zueilt, und durch die sie gelöst wird; die übrigen Mittel, der Geist des Ganzen, die Beschäftigung des Chors, der Grund, auf welchem die Handlung vorgeht, alles ist reiflich ausgedacht und beisammen. 

Ein anderes Sujet2, welches ganz eigne Erfindung ist, möchte früher an die Reihe kommen; es ist ganz im reinen und ich könnte gleich an die Ausführung gehen. Es besteht, den Chor mit gerechnet, nur aus 20 Scenen und aus fünf Personen. Göthe billigt den Plan ganz; aber es erregt mir noch nicht den Grad von Neigung, den ich brauche um mich einer poetischen Arbeit hinzugeben. Die Hauptursache mag seyn, weil das Interesse nicht sowohl in den handelnden Personen, als in der Handlung liegt, sowie im Oedipus des Sophocles; welches vielleicht ein Vorzug seyn mag, aber doch eine gewisse Kälte erzeugt. 

Noch habe ich zwey andere Stoffe, die zu ihrer Zeit gewiß auch an die Reihe kommen, aber sich bis jezt der Form noch nicht haben unterwerfen wollen. Der eine davon ist Warbeck, ein Betrüger im 15 Jahrhundert, der sich für den im Tower getödteten Herzog von York ausgab und gegen Heinrich VII von England als Gegenkönig auftrat. Aus der Geschichte selbst nehme ich nichts als dieses Factum und die Person der Herzogin von Burgund, einer Prinzessin von York, welche diese Comödie spielte. Das Punctum saliens zu dieser Tragödie ist gefunden, sie ist aber schwer zu behandeln, weil der Held des Stücks ein Betrüger ist, und ich möchte auch nicht den kleinsten Knoten im Moralischen zurücklaßen. 

Außer einigen andern, noch mehr embryonischen Stoffen habe ich auch eine Idee zu einer Comödie, fühle aber, wenn ich darüber nachdenke, wie fremd mir dieses Genre ist. Zwar glaube ich mich derjenigen Comödie, wo es mehr auf eine comische Zusammenfügung der Begebenheiten als auf comische Charaktere und auf Humor ankommt, gewachsen, aber meine Natur ist doch zu ernst gestimmt; und was keine Tiefe hat, kann mich nicht lange anziehen. 

Du siehst, daß ich an Entwürfen nicht arm bin, aber die Götter wißen, was zur Ausführung kommen wird. 

Deinem Urtheil über meine Jungfrau von Orleans sehe ich mit großem Verlangen entgegen. Göthe meint, daß es mein bestes Werk sei, und ich mit dem Ensemble besonders zufrieden. Aber bei Stücken von solcher Breite und Mannichfaltigkeit giebt man sich erstaunlich aus, und es ist Zeit mehr hauszuhalten. 

Ich sende hier einen Macbeth; die guten Exemplare der Maria sind noch unter der Glättmaschine. Schreib’ mir doch, ob ich Dir den 2ten Theil meiner prosaischen Schriften gesendet, und auf welchem Papier; denn der dritte ist nun auch fertig, und liegt zum Absenden bereit. 

Herzlich umarmen wir euch alle. Bei mir ist alles wohl und ich hoffe dasselbe auch von euch zu hören. Lebe wohl. 

Dein 

Schiller. 

Am 14. Mai. 

Ich lege Dir eine Broschüre von Fichten bei3, die Du vielleicht sonst nicht zu Gesichte bekommen wirst. Er sagt dem Nicolai zwar verdiente derbe Wahrheiten, aber der Ton ist doch zu prosaisch, zu grob und zu wenig witzig. Der Gegenstand hätte mehr ins Allgemeine gespielt und der Gattungscharakter des Philisters dargestellt werden sollen. – Diese Schrift sende mir nach Durchlesung zurück. 


1 Dieser Brief fehlt.
2 Die Braut von Messina.
3 Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen. Von Johann Gottlieb Fichte. Herausgegeben von A. W. Schlegel. Tübingen, Cotta, 1801. Vgl. Aus Schleiermachers Leben. 1, 231.


Bemerkungen

1 Zu S. 276. Z. 22. Am 30. April hatte Sch. nach K. die Jungfrau v. Orleans im Mscrpt. an Körner gesandt. Der Begleitbrief fehlt.
Zu S. 277. Z. 7. Vgl. Ludwig Bellermann, Schillers Dramen I. S. 43 ff. Zu Z. 13. Das Sujet der Braut von Messina. Zu Z. 23. Welcher Stoff außer dem des Warbeck hier gemeint ist, weiß ich nicht. Auch der Stoff zu der Komödie S. 278. Z. 2. ist mir unbekannt.
Zu S. 278. Z. 25. Zu der Nachschrift vgl. zu Nr. 1687. Zu Z. 26. Vgl. zu Nr. 1691.