Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Christophine Reinwald

Weimar 24. May [Montag] 1802. 

So ist denn unsre traurige Erwartung zur Gewißheit geworden, wir haben sie nicht mehr, die treue liebevolle immer für ihre Kinder sorgsame Mutter, wir können nichts mehr für sie thun, ach, und wie erscheint mir in diesem Augenblicke alles als Nichts, was ich für die liebe ewig Theure zu thun glaubte. Das wenige was ich an sie gewendet, konnte ich ja entbehren, und sie hätte für uns ja gern das Unentbehrliche hingegeben. In Verhältnißen des Kindes zu den Aeltern haben nur persönliche Dienste einen Werth. Du, meine gute Schwester, hast diese redlich geleistet, da Du einen großen Theil Deines Lebens im väterlichen Hause lebtest, und noch in den lezten Zeiten, als Du die schreckliche Lage während des Krieges und beim Sterbebette des lieben Vaters mit ihnen theiltest. Was habe ich gethan, das neben Diesem noch einigen Werth haben könnte! 

Unter diesen Umständen beschämt es mich, daß mir das wenige was ich an die liebe verewigte gewendet, durch ihre Verlaßenschaft mehr als erstattet wird. Hätte ich nicht die Pflichten für meine Kinder und nicht die Furcht vor künftigen kränklichen Tagen, so würde ich keinen Augenblick über den gebrauch verlegen seyn, den ich von meinem Antheil an der Erbschaft zu machen hätte. Du kennst mich liebe Schwester und wirst es mir glauben daß nichts als jene höhere Pflicht mich daran hindern kann. 

Herzlich umarme ich Dich und Deinen lieben Mann.

Dein ewig treuer 

Bruder 

Sch.