Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar 12. Jun. [Sonnabend] 1802.

Ich erhalte einen Brief von Ihnen, indem ich Sie heute ganz zuversichtlich selbst erwartete, und mir diesen Abend das Vergnügen versprach, Ihre Arbeit vorlesen zu hören. Ich werde morgen um sechs Uhr Abends nicht fehlen und freue mich in gar vielen Rücksichten des glücklich vollbrachten Werks. 

Bald hätte Beckers Krankheit die nächsten, ja vielleicht alle künftig dramatischen Unternehmungen übel stören können; er ist noch jezt sehr schlimm und wenn es noch so glücklich geht, so wird in den nächsten 8 Tagen schwerlich auf ihn zu rechnen seyn. Unter andern Umständen würde seine Rolle in Ihrem Stück wohl durch Ehlers oder einen andern zu besetzen gewesen seyn; da Sie aber gerade bei diesem Stück auf die Personalität des Schauspielers mit Rechnung gemacht haben, so könnte doch etwas dadurch verloren gehen, wenn ein anderer die Rolle spielt. 

Ich sehne mich sehr nach einem ruhigen Aufenthalt, denn bei mir geht es jezt sehr lermend zu, da oben und unten gehämmert wird, und der Boden zittert, ganz buchstäblich genommen, unter meinen Füßen. Auch habe ich mich diese Woche gar nicht wohl und leider in einer recht misanthropischen Laune befunden, die aber leider zu pathologisch passiv war, um den Schwung des Ewigen Zorns zu erreichen. 

Leben Sie recht wohl und kommen mit schönen Gaben zurück. 

Sch. 

[Adresse:]
                      Herrn
   Geheimen Rath von Goethe
                Hochwohlgeb.
                                   in
      fr.                             Jena.


Bemerkungen

1 Zu S. 395. Z. 26. Die Arbeit war das Vorspiel: Was wir bringen.
Zu S. 396. Z. 6. Becker spielte den Reisenden in dem Vorspiel. Zu Z. 15. Zu dem Ewigen Zorn vgl. Goethes Brief vom 8. Juni. Ist der Ausdruck eine Anspielung auf Juvenals Wort: facit indignatio versum?