Friedrich Schiller
Friedrich Schiller an Gottfried Körner
W. 12. Mai [Donnerstag] 1803.
Ich habe in diesen letzten Wochen viele theatralische Zerstreuungen gehabt, die mich weder ans Arbeiten noch Briefschreiben kommen ließen. Die Jungfrau v. Orleans ist vor 3 Wochen zum erstenmal hier aufgeführt und mehrmal repetirt worden1. Ich habe mir mit den Proben viel zu thun gemacht; das Stück ist aber auch charmant gegangen, und hat einen ganz ungewöhnlichen Erfolg gehabt. Alles ist davon elektrisirt worden. Ich wünschte, Ihr hättet es mit angesehen. Denn ob wir gleich keine große Talente bei unserm Theater haben, so störte doch nichts, und das Ganze kam zum Vorschein. Die Jungfrau von Orleans wurde von einer Schauspielerin gespielt, welche sonst nicht im Besitz der großen Rollen ist, hier aber durch ein glückliches Zusammentreffen ihrer eigenen Individualität und einer großen Routine dahin kam, etwas Vortreffliches zu leisten.
Könntet ihr im Julius nach Lauchstädt kommen, so wollte ich Euch drei meiner Stücke, die am besten gehen, produciren. Wir lebten ein 8 Tage zusammen und erfreuten uns des Wiedersehens.
Meine zwei aus dem Französ. übersetzten Lustspiele will ich Dir schicken, sobald ich eine Abschrift übrig habe, denn jetzt bin ich pressirt, sie an die Theater abzusenden.
Ich habe in diesen Tagen auch lustig gelebt: die preußischen Offiziere in Erfurt haben mich zu einem Fest eingeladen und ich bin hingegangen. Es hat mir großen Spaß gemacht, mich mitten in einem großen Militair zu finden; denn es waren gegen 100 Officiere beisammen, wovon mir besonders die alten gedienten Majors und Obersten interessant waren.
Goethens Stück ist vor jetzt nicht zu bekommen, es wird aber auf die Michaelismesse gedruckt.
Leb wohl und schreibe mir bald, daß alles bei Euch wohl ist. Herzlich grüßen wir Euch alle
Dein
S.
1 23., 30. April, 7. Mai. Kalender 143 f. Früher war die Aufführung dem Herzoge unlieb gewesen, da seine Maitresse, die Jagemann, der die Rolle zugefallen sein würde, ihm darin nicht am rechten Platze erschien.
Bemerkungen
1 Zu S. 39. Z. 1. Die Jungfrau wurde am 23. April zum erstenmal aufgeführt. Dann wieder am 30. April, 7. Mai, 30. Mai. Z. 19. In K. steht unter dem 30. April: Nach Erfurt gereiset.