Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Weimar am 20. Mai [Freitag] 1803.

Hier sende ich Ihnen die Voßische Prosodie wieder; ich bin nicht weit darinn gekommen. Man kann sich gar zu wenig allgemeines daraus nehmen, und für den empirischen Gebrauch, etwa zum Anfragen in zweifelhaften Fällen, wo sie vortrefliche Dienste thun könnte, fehlt ihr ein Register, wo man sich das Orakel bequem hohlen könnte. Ihr Gedanke sie zu schematisieren ist das einzige Mittel, sie brauchbar zu machen. 

Die Herrmannsschlacht habe ich gelesen, und mich zu meiner großen Betrübniß überzeugt, daß sie für unsern Zweck völlig unbrauchbar ist. Es ist ein kaltes, herzloses, ja fratzenhaftes Produkt, ohne Anschauung für den Sinn, ohne Leben und Wahrheit, und die paar rührende Situationen, die sie enthält, sind mit einer Gefühllosigkeit und Kälte behandelt, daß man indigniert wird. 

Mein kleines Lustspiel hat das Publicum sehr belustigt und macht sich auch wirklich recht hübsch. Es ist mit vieler guten Lauen gespielt worden, ob es gleich nicht zum besten einstudiert war, und unsere Schauspieler, wie Sie wissen, gern sudeln, wenn sie nicht durch den Vers in Respekt erhalten werden. Da Plan und Gedanke nicht mein gehörten und die Worte extemporiert wurden, so habe ich mich um die Vorstellung selbst keines Verdienstes zu rühmen. 

Das zweite Picardische Stück kann hier nicht mehr einstudiert werden, weil Graff und Becker in dem Niemeierischen Stück viel zu thun haben, das man Ehrenhalber in Lauchstädt producieren muß.

Ich wünsche Ihnen Glück daß Sie sich Ihr Gut mit Vortheil vom Hals geschafft haben, und jezt wieder ein freier Mann sind.

Leben Sie recht wohl. Was Cotta uns neues mitbringt, werd ich melden und zugleich ein paar Gedichte mitschicken, die in diesen Tagen entstanden. 

Sch. 

Ich vergaß Ihnen von dem jungen Schauspieler Grimmer zu schreiben, den ich neulich habe lesen lassen. Ich schöpfe recht gute Hofnung von ihm, er ließt mit Sinn und weiß den Ton abzuwechseln, das leidenschaftliche trägt er mit Wärme, und die Verse mit Einsicht vor; es ist gewiß etwas von ihm zu hoffen. 

Da ich nun zugleich vernehme, daß einige unserer Schauspieler, ich weiß nicht warum gegen ihn wirken, so gebe ich Ihnen zu bedenken, daß dieß gerade einer der seltenen Fälle ist, wo man einen jungen bildungsfähig Menschen von Anstand und Figur unter sehr mäßigen Bedingungen auf die Probe bekommen kann, und was besonders zu seinen Gunsten sein möchte, ist dieses, daß er sich fast mehr zu Männer- als Jünglingsrollen zu qualifizieren scheint. Da wir diesen Winter nun vollends einige größere Flüge machen wollen, wozu unser Personal nicht hinreicht, da auch diesen Sommer zu Lauchstädt Parthie von ihm zu ziehen ist, so kann ich mirs nicht versagen, Ihnen zum Vortheil des jung Manns zu reden, der mir auch jezt schon, wenigstens so viel als Cordemann werth ist, und außerdem durch sein Benehmen Achtung und Zutrauen einflößt.


Bemerkungen

1 Abgesandt nach K. d. 21.
X. Vom 20. Mai (eingetr. nach K. d. 21. Mai). Z. Vom 22. Mai (eingetr. d. 23.).
Zu S. 41. Z. 30. Übersetzung der Andria v. Niemeyer.
Zu S. 42. Z. 8. Über den Schauspielar Grimmer vgl. Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 378 u. 379.