Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar, 4. Januar [Mittwoch] 1804.

Freilich habe ich lange nichts von mir hören lassen, Ihr Lieben; aber ich war auch nie so gedrängt wie in den letzten vier Wochen. 

Mein Stück, welches ich dem Berliner Theater Ende Februar versprochen, nimmt mir den ganzen Kopf ein, und nun führt mir der Dämon noch die französische Philosophin hierher, die unter allen lebendigen Wesen, die mir noch vorgekommen, das beweglichste, streitfertigste und redseligste ist1. Sie ist aber auch das gebildetste und geistreichste weibliche Wesen, und wenn sie nicht wirklich interessant wäre, so sollte sie mir auch ganz ruhig hier sitzen. Du kannst aber denken, wie eine solche ganz entgegengesetzte, auf dem Gipfel französischer Cultur stehende, aus einer ganz andern Welt zu uns hergeschleuderte Erscheinung mit unserm deutschen, und vollends mit meinem Wesen contrastiren muß. Die Poesie leitet sie mir beinahe ganz ab; und ich wundere mich, wie ich jetzt nur noch etwas machen kann. Ich sehe sie oft, und da ich mich noch dazu nicht mit Leichtigkeit im Französischen ausdrücke, so habe ich wirklich harte Stunden. Man muß sie aber ihres schönen Verstandes, selbst ihrer Liberalität und vielseitigen Empfänglichkeit wegen hochschätzen und verehren. In dieser Zeit ist Herder gestorben2 und noch verschiedene Bekannte und Freunde, so daß wir wirklich recht traurige Betrachtungen anstellen, und uns der Todesgedanken kaum erwehren können. Ohnehin ist der Winter ein so düstrer Gast, und enget einem das Herz. 

Zu der neuen Acquisition, die Ihr in Böttiger gemacht, gratulire ich – uns! Gott sie Dank, daß wir diesen schlimmen Gast endlich los sind, und möge er Euch gut bekommen. 

Damit das neue Jahr doch nicht ganz ohne poetische Gabe beginne, so lege ich etwas bei, was neben dem Tell gelegentlich entstanden. Es wird Graf Geßler vielleicht an etwas erinnern3. Vielleicht wirst Du eine Melodie dazu finden. 

Beckers Augusteum4 wird hier von den Kunstverständigen sehr gelobt; aber er hätte nicht so viel Worte machen, und durch den Text das ohnehin kostbare Werk nicht noch mehr vertheuern sollen. 

S.


1 Frau von Stael, über deren Aufenthalt in Weimar Crabb Robinson sehr interessante Mittheilungen gemacht hat.
2 21. Dec. 1803.
3 Das Berglied.
4 Augusteum, Dresdens antike Denkmäler. 13 Hefte Folio. Preis 125 Thlr.


Bemerkungen

1 Zu S. 108. Z. 23. Goethe hatte am 2. Dez. 1803 Vermehrens Tod gemeldet. Dann denkt Sch. wohl an den Tod des Sohnes Wilh. v. Humboldts. Vgl. Nr. 1900 u. 1901. Der Herzog von Meiningen starb am 24. Dez. 1803. Dazu hielt er Griesbach für hoffnungslos krank u. Christiane v. Wurmb war schwer erkrankt. Vgl. Nr. 1901. Zu Z. 27. Vgl. Wolzogen, Nachlaß, 1849, II. 218. Vgl. zu Nr. 1923. Zu Z. 31. Sch. wollte wohl das Berglied beilegen, vergaß es aber nach Z.
Zu S. 109. Z. 1. Woran Geßler das Gedicht im besonderen erinnern sollte, weiß ich nicht; oder meint Sch. nur, daß es ihn an seinen Aufenthalt in der Schweiz erinnern werde? Zu Z. 3. Gödeke merkt in A. an, daß Beckers Augusteum, Dresdens antike Bildwerke, 13 Hefte Folio, 125 Thlr. kosteten.