Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar 28. May [Montag] 1804. 

Ohne Zweifel hast Du indessen schon zu Deiner Verwunderung vernommen, dass ich in Berlin gewesen1. Es war ein Einfall, der eben so schnell ausgeführt wurde als er entstand; auch hießen die Umstände meiner Frau mich eilen, wenn dieses Jahr überhaupt etwas daraus werden sollte. 

Daß ich bei dieser Reise nicht bloß mein Vergnügen beabsichtigte, kannst Du Dir leicht denken; es war um mehr zu thun, und allerdings habe ich es jezt in meiner Hand, eine wesentliche Verbesserung in meiner Existenz vorzunehmen. Zwar wenn ich nicht auf meine Familie reflectieren müßte, würde es mir in Weimar immer am besten gefallen. Aber meine Besoldung ist klein und ich setze ziemlich alles zu, was ich jährlich erwerbe, so daß wenig zurückgelegt wird. Um meinen Kindern einiges Vermögen zu erwerben muß ich dahin streben, daß der Ertrag meiner Schriftstellerei zum Kapital kann geschlagen werden, und dazu bietet man mir in Berlin die Hände. Ich habe nichts da gesucht, man hat die ersten Schritte gegen mich gethan, und ich bin aufgefodert, selbst meine Bedingungen zu machen. 

Es ist aber kostbar in Berlin zu leben, ohne Equipage ist es für mich ganz und gar nicht möglich, weil jeder Besuch oder Ausgang eine kleine Reise ist. Auch sind andere Artikel sehr theuer und unter sechshundert Friedrichsd’or könnte ich gar nicht mit Bequemlichkeit leben; ja diese würden nicht einmal hinreichen. In einer großen Stadt kann man sich weniger behelfen, als in einer kleinen.

Es steht also bei den Göttern, ob die Foderung, die ich zu machen genöthigt bin, wenn ich mich nicht verschlimmern will, nicht zu hoch wird gefunden werden. 

Berlin gefällt mir und meiner Frau2 besser als wir erwarteten. Es ist dort eine große persönliche Freiheit, und eine Ungezwungenheit im bürgerlichen Leben. Musik und Theater bieten mancherlei Genüsse an, obgleich beide bei weitem das nicht leisten, was sie kosten. Auch kann ich in Berlin eher Aussichten für meine Kinder finden, und mich vielleicht, wenn ich erst dort bin, noch auf manche Art verbessern. 

Auf der anderen Seite zerreiße ich höchst ungern alte Verhältnisse, und in neue mich zu begeben schreckt meine Bequemlichkeit. Hier in Weimar bin ich freilich absolut frey, und im eigentlichsten Sinne zu Hause. Ich habe gegen den Herzog Verbindlichkeiten und ob ich gleich mit ganz guter Art mich loszumachen hoffen kann, so würde mirs doch weh thun zu gehen. Wenn er mir also einen nur etwas bedeutenden Ersatz anbietet, so habe ich doch Lust zu bleiben. 

So stehen die Sachen. Lass mich doch in Deinem nächsten Briefe hören, was ihr von der Sache haltet und mir rathet. Da das Glück einmal die Würfel in meine Hand giebt, so muß ich werfen; ich würde mir sonst immer Vorwürfe machen, wenn ich den Moment versäumte.

Uebrigens bleibe die ganze Sache unter uns, es würde mir schaden, wenn vor der Zeit etwas davon verlautete. 

Lolo grüßt herzlich, sie befindet sich wohl, und hat die Beschwerlichkeiten der Reise gut ausgehalten. Auch meine beiden Jungen waren mit, und Karl hat mit dem Kronprinzen Freundschaft gestiftet. 

Lebewohl, herzlich umarme ich euch alle. 

Dein 

S.


1 Die Daten in Schillers Kalender sind folgende: „April 26.: Von Weimar abgereist. Abends in Weißenfels. – 27.: Mittags in Leipzig. Abends in Leipzig. – 28.: Abends in Leipzig. – 29.: Von Leipzig ab und Abends in Wittenberg. – 30.: Abends in Potsdam. – May 1.: Mittags in Berlin. – 2.: Zauberflöte. Bei Hagens zu Mittag. – 3.: Concert in Berlin. Hufeland. Iffland. Dr. Stoll. Bernahrdi. Bethmann. Zelter und Frau. Erhard. Prof. Ditmar. Beschort. Romberg. – 4.: Braut von Messina. Bei Ifflands zu Mittag. – 5.: Beim Prinzen Ludwig Ferdinand gegessen. – 6.: Jungfrau v. Orleans. – 10.: Aussteuer. [Schauspiel von Iffland; seit 3. Nov. 1794 Repertoirestück.] – 11.: Oper: Iphigenia. Berlin. – 12.: Jungfrau von Orleans. Soupirt bei Hufeland. – 13.: Bei der Königin. Zu Mittag bei Iffland. – 14.: Wallenstein. – 15.: Merope. Sing-Akademie. – 17.: Reisten wir nach Potsdam ab. Mittags bei Beyme. Abends in der Komödie. „Fanchon.“ Nachts bei Massenbach. – 18.: Von Potsdam nach Wittenberg. – 19.: Nach Leipzig. – 20.: Nach Naumburg. – 21.: In Weimar angekommen. Von Cotta 648 Rthlr. vorgefunden.“ Vgl. Aus Teichmanns Nachlaß S. 81 ff. 234. H. Schmidt, Erinnerungen 202. norddeutsche Allg. Zeitung 1871. Beilage Nr. 35 vom 19. Nov.
2 Schillers Frau schrieb am 9. Dec. 1804 an Fritz von Stein: „Ich wollte und durfte nicht Nein sagen, denn ich wollte Schiller seine ganze Freiheit lassen, und nichts für mich selbst wünschen, da es die Existenz meiner Familie betraf, aber ich wäre recht unglücklich in Berlin gewesen. Die Natur dort hätte mich zur Verzweiflung gebracht. Sie wissen, daß es um uns herum auch nicht gerade schön ist, aber ich weinte fast, als ich die erste Bergspitze wieder erblickte. Diese Krisis hat sehr auf meine Gesundheit eingewirkt, ich hatte Fieber aus Angst, ich wollte gefaßt scheinen, und Schiller durch meine Wünsche nicht beschränken.“ (Briefe von Goethe etc. an Friedr. Frhrn. v. Stein. Leipzig, 1846. S. 160.)


Bemerkungen

1 Zu S. 147. Z. 6. Schillers Frau hatte Berlin gar nicht gefallen. Nur die Rücksicht auf die Existenz der Familie ließ sie es verschweigen, um Schiller bei der Entscheidung völlige Freiheit zu lassen. (Vgl. Charlottens Brief an Fritz von Stein vom 9. Dez. 1804 im Briefe Goethes u. dessen Mutter an Fritz v. Stein 1846 S. 160).