Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die Götter Griechenlands

 

  Da ihr noch die schöne Welt regieret,
An der Freude leichtem Gängelband
Selige Geschlechter noch geführet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da!
Da man Deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!

  Da der Dichtung zauberische Hülle
Sich noch lieblich um die Wahrheit wand –
Durch die Schöpfung floss da Lebensfülle,
Und was nie empfunden wird, empfand.
An der Liebe Busen sie zu drücken,
Gab man höhern Adel der Natur,
Alles wies den eingeweihten Blicken,
Alles eines Gottes Spur.

  Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,
Seelenlos ein Feuerball sich dreht,
Lenkte damals seinen gold’nen Wagen
Helios in stiller Majestät.
Diese Höhen füllten Oreaden,
Eine Dryas lebt’ in jenem Baum,
Aus den Urnen lieblicher Najaden
Sprang der Ströme Silberschaum.

  Jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe,
Tantals Tochter schweigt in diesem Stein,
Syrinx Klage tönt’ aus jenem Schilfe,
Philomelas Schmerz aus diesem Hain.
Jener Bach empfing Demeters Zähre,
Die sie um Persephonen geweint
Und von diesem Hügel rief Cythere,
Ach umsonst, dem schönen Freund.

  Zu Deukalions Geschlechte stiegen
Damals noch die Himmlischen herab,
Pyrrhas schöne Töchter zu besiegen,
Nahm der Läto Sohn den Hirtenstab.
Zwischen Menschen, Göttern und Heroen
Knüpfte Amor einen schönen Bund,
Sterbliche mit Göttern und Heroen
Huldigten in Amathunt.

  Finstrer Ernst und trauriges Entsagen
War aus Eurem heitern Dienst verbannt,
Glücklich sollten alle Herzen schlagen,
Denn Euch war der Glückliche verwandt.
Damals war nichts heilig als das Schöne,
Keiner Freude schämte sich der Gott,
Wo die keusch errötende Kamöne,
Wo die Grazie gebot.

  Eure Tempel lachten gleich Palästen,
Euch verherrlichte das Heldenspiel
An des Isthmus kronenreichen Festen,
Und die Wagen donnerten zum Ziel.
Schön geschlung’ne, seelenvolle Tänze
Kreis’ten um den prangenden Altar,
Eure Schläfe schmückten Siegeskränze,
Kronen Euer duftend Haar.

  Das Evoe muntrer Thyrsusschwinger
Und der Panther prächtiges Gespann
Meldeten den großen Freudenbringer,
Faun und Satyr taumeln ihm voran,
Um ihn springen rasende Mänaden,
Ihre Tänze loben seinen Wein
Und des Wirtes braune Wangen laden
Lustig zu dem Becher ein.

  Damals trat kein grässliches Gerippe
Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuss
Nahm das letzte Leben von der Lippe,
Seine Fackel senkt’ ein Genius.
Selbst des Orkus strenge Richterwaage
Hielt der Enkel einer Sterblichen
Und des Thrakers seelenvolle Klage
Rührte die Erinnyen.

  Seine Freuden traf der frohe Schatten
In Elysiens Hainen wieder an,
Treue Liebe fand den treuen Gatten
Und der Wagenlenker seine Bahn,
Linus Spiel tönt die gewohnten Lieder,
In Alcestens Arme sinkt Admet,
Seinen Freund erkennt Orestes wieder,
Seine Pfeile Philoktet.

  Höh’re Preise stärkten da den Ringer
Auf der Tugend arbeitvoller Bahn,
Großer Taten herrliche Vollbringer
Klimmten zu den Seligen hinan.
Vor dem Widerforderer der Toten
Neigte sich der Götter stille Schar,
Durch die Fluten leuchtet dem Piloten
Vom Olimp das Zwillingspaar.

  Schöne Welt, wo bist Du? Kehre wieder
Holdes Blütenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch Deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach, von jenem lebenwarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.

  Alle jene Blüten sind gefallen
Von des Nordes schauerlichem Weh’n,
Einen zu bereichern unter allen
Musste diese Götterwelt vergehn.
Traurig such’ ich an den Sternenbogen,
Dich Selene find’ ich dort nicht mehr,
Durch die Wälder ruf’ ich, durch die Wogen,
Ach, sie widerhallen leer!

  Unbewusst der Freuden, die sie schenket,
Nie entzückt von ihrer Herrlichkeit,
Nie gewahr des Geistes, der sie lenket,
Sel’ger nie durch meine Seligkeit,
Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,
Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr,
Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere,
Die entgötterte Natur.

  Morgen wieder neu sich zu entbinden,
Wühlt sie heute sich ihr eig’nes Grab,
Und an ewig gleicher Spindel winden
Sich von selbst die Monde auf und ab.
Müßig kehrten zu dem Dichterlande
Heim die Götter, unnütz einer Welt,
Die, entwachsen ihrem Gängelbande,
Sich durch eig’nes Schweben hält.

  Ja, sie kehrten heim und alles Schöne
Alles Hohe nahmen sie mit fort,
Alle Farben, alle Lebenstöne
Und uns blieb nur das entseelte Wort.
Aus der Zeitflut weggerissen schweben
Sie gerettet auf des Pindus Höhn,
Was unsterblich im Gesang soll leben
Muss im Leben untergehn.

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-281. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Dritter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1812. Seite 3-405. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.