Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Der Kampf mit dem Drachen

 

Romanze

  Was rennt das Volk, was wälzt sich dort,
Die langen Gassen brausend fort?
Stürzt Rhodus unter Feuers Flammen?
Es rottet sich im Sturm zusammen,
Und einen Ritter, hoch zu Ross,
Gewahr’ ich aus dem Menschentross,
Und hinter ihm, welch Abenteuer!
Bringt man geschleppt ein Ungeheuer.
Ein Drache scheint es von Gestalt,
Mit weitem Krokodilesrachen
Und alles blickt verwundert bald
Den Ritter an und bald den Drachen.

  Und tausend Stimmen werden laut,
“Das ist der Lindwurm, kommt und schaut!
Der Hirt und Herden uns verschlungen,
Das ist der Held, der ihn bezwungen!
Viel andre zogen vor ihm aus,
Zu wagen den gewalt’gen Strauß.
Doch keinen sah man wiederkehren,
Den kühnen Ritter soll man ehren!”
Und nach dem Kloster geht der Zug,
Wo Sankt Johann’s des Täufers Orden,
Die Ritter des Spitals im Flug
Zu Rate sind versammelt worden.

  Und vor den edeln Meister tritt
Der Jüngling mit bescheidnem Schritt.
Nachdrängt das Volk, mit wildem Rufen,
Erfüllend des Geländers Stufen,
Und jener nimmt das Wort und spricht:
“Ich hab’ erfüllt die Ritterpflicht,
Der Drache, der das Land verödet,
Er liegt von meiner Hand getötet.
Frei ist dem Wanderer der Weg,
Der Hirte treibe ins Gefilde,
Froh walle auf dem Felsensteg
Der Pilger zu dem Gnadenbilde.”

  Doch strenge blickt der Fürst ihn an
Und spricht: “Du hast als Held getan.
Der Mut ist’s, der den Ritter ehret.
Du hast den kühnen Geist bewähret.
Doch sprich! Was ist die erste Pflicht
Des Ritters, der für Christum ficht,
Sich schmücket mit des Kreuzes Zeichen?”
Und alle rings herum erbleichen.
Doch er, mit edelm Anstand, spricht,
Indem er sich errötend neiget.
“Gehorsam ist die erste Pflicht,
Die ihn des Schmuckes würdig zeiget.”

  “Und diese Pflicht, mein Sohn”, versetzt
Der Meister, “hast Du frech verletzt,
Den Kampf, den das Gesetz versaget,
Hast Du mit frevlem Mut gewaget!” –
“Herr, richte, wenn Du alles weißt.
Spricht jener mit gesetztem Geist,
Denn des Gesetzes Sinn und Willen
Vermeint’ ich treulich zu erfüllen.
Nicht unbedachtsam zog ich hin,
Das Ungeheuer zu bekriegen,
Durch List und kluggewandten Sinn
Versucht ich’s, in dem Kampf zu siegen.”

  “Fünf unsers Ordens waren schon,
Die Zierden der Religion,
Des kühnen Mutes Opfer worden,
Da wehrtest Du den Kampf dem Orden.
Doch an dem Herzen nagte mir
Der Unmut und die Streitbegier,
Ja, selbst im Traum der stillen Nächte
Fand ich mich keuchend im Gefechte
Und wenn der Morgen dämmernd kam
Und Kunde gab von neuen Plagen,
Da fasste mich ein wilder Gram
Und ich beschloss, es frisch zu wagen.”

  “Und zu mir selber sprach ich dann:
Was schmückt den Jüngling, ehrt den Mann,
Was leisteten die tapfern Helden,
Von denen uns die Lieder melden?
Die zu der Götter Glanz und Ruhm
Erhub das blinde Heidentum?
Sie reinigten von Ungeheuern
Die Welt in kühnen Abenteuern,
Begegneten im Kampf dem Leu’n
Und rangen mit dem Minotauren,
Die armen Opfer zu befrein,
Und ließen sich das Blut nicht dauren.

  Ist nur der Sarazen es wert,
Dass ihn bekämpft des Christen Schwert?
Bekriegt er nur die falschen Götter?
Gesandt ist er der Welt zum Retter,
Von jeder Not und jedem Harm
Befreien muss sein starker Arm,
Doch seinen Mut muss Weisheit leiten
Und List muss mit der Stärke streiten.
So sprach ich oft und zog allein,
Des Raubtiers Fährte zu erkunden,
Da flößte mir der Geist es ein,
Froh rief ich aus, ‘ich hab’s gefunden.’”

  “Und trat zu Dir und sprach dies Wort:
‘Mich zieht es nach der Heimat fort.’
Du Herr willfahrtest meinen Bitten
Und glücklich war das Meer durchschnitten.
Kaum stieg ich aus am heimschen Strand,
Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand
Getreu den wohlbemerkten Zügen
Ein Drachenbild zusammenfügen.
Auf kurzen Füßen wird die Last
Des langen Leibes aufgetürmet,
Ein schuppicht Panzerhemd umfasst
Den Rücken, den es furchtbar schirmet.”

  “Lang strecket sich der Hals hervor,
Und grässlich wie ein Höllentor,
Als schnappt’ es gierig nach der Beute,
Eröffnet sich des Rachens Weite
Und aus dem schwarzen Schlunde dräun
Der Zähne stachelichte Reih’n.
Die Zunge gleicht des Schwertes Spitze.
Die kleinen Augen sprühen Blitze.
In einer Schlange endigt sich
Des Rückens ungeheure Länge,
Rollt um sich selber fürchterlich,
Dass es um Mann und Ross sich schlänge.”

  “Und alles bild’ ich nach, genau,
Und kleid’ es in ein scheußlich Grau,
Halb Wurm erschien’s, halb Molch und Drache,
Gezeuget in der gift’gen Lache.
Und als das Bild vollendet war,
Erwähl’ ich mir ein Doggenpaar,
Gewaltig, schnell, von flinken Läufen,
Gewohnt, den wilden Ur zu greifen,
Die hetz’ ich auf den Lindwurm an,
Erhitze sie zu wildem Grimme,
Zu fassen ihn mit scharfem Zahn
Und lenke sie mit meiner Stimme.”

  “Und wo des Bauches weiches Vlies
Den scharfen Bissen Blöße ließ,
Da reiz ich sie den Wurm zu packen,
Die spitzen Zähne einzuhacken.
Ich selbst, bewaffnet mit Geschoss,
Besteige mein arabisch Ross,
Von adelicher Zucht entstammet
Und als ich seinen Zorn entflammet,
Rasch auf den Drachen spreng ich’s los
Und stachl’ es mit den scharfen Sporen
Und werfe zielend mein Geschoss,
Als wollt’ ich die Gestalt durchbohren.”

  “Ob auch das Ross sich grauend bäumt
Und knirscht und in den Zügel schäumt
Und meine Doggen ängstlich stöhnen,
Nicht rast ich, bis sie sich gewöhnen.
So üb’ ich’s aus mit Emsigkeit,
Bis dreimal sich der Mond erneut,
Und als sie jedes recht begriffen,
Führ ich sie her auf schnellen Schiffen.
Der dritte Morgen ist es nun,
Dass mir’s gelungen hier zu landen,
Den Gliedern gönnt’ ich kaum zu ruhn,
Bis ich das große Werk bestanden.”

  “Denn heiß erregte mir das Herz
Des Landes frisch erneuter Schmerz.
Zerrissen fand man jüngst die Hirten,
Die nach dem Sumpfe sich verirrten
Und ich beschließe rasch die Tat,
Nur von dem Herzen nehm ich Rat.
Flugs unterricht ich meine Knappen,
Besteige den versuchten Rappen
Und von dem edeln Doggenpaar
Begleitet, auf geheimen Wegen,
Wo meiner Tat kein Zeuge war,
Reit’ ich dem Feinde frisch entgegen.”

  “Das Kirchlein kennst Du, Herr, das hoch
Auf eines Felsenberges Joch,
Der weit die Insel überschauet,
Des Meisters kühner Geist erbauet.
Verächtlich scheint es, arm und klein,
Doch ein Mirakel schließt es ein,
Die Mutter mit dem Jesusknaben,
Den die drei Könige begaben.
Auf dreimal dreißig Stufen steigt
Der Pilgrim nach der steilen Höhe,
Doch hat er schwindelnd sie erreicht,
Erquickt ihn seines Heilands Nähe.”

  “Tief in den Fels, auf dem es hängt,
Ist eine Grotte eingesprengt,
Vom Tau des nahen Moors befeuchtet,
Wohin des Himmels Strahl nicht leuchtet.
Hier hausete der Wurm und lag,
Den Raub erspähend, Nacht und Tag,
So hielt er, wie der Höllendrache
Am Fuß des Gotteshauses Wache
Und kam der Pilgrim hergewallt
Und lenkte in die Unglückstraße,
Hervorbrach aus dem Hinterhalt
Der Feind und trug ihn fort zum Fraße.”

  “Den Felsen stieg ich jetzt hinan,
Eh’ ich den schweren Strauß begann,
Hin kniet’ ich vor dem Christuskinde
Und reinigte mein Herz von Sünde.
Darauf gürt’ ich mir im Heiligtum
Den blanken Schmuck der Waffen um,
Bewehre mit dem Spieß die Rechte
Und nieder steig’ ich zum Gefechte,
Zurücke bleibt der Knappen Tross.
Ich gebe scheidend die Befehle
Und schwinge mich behend auf’s Ross
Und Gott empfehl’ ich meine Seele.”

  “Kaum seh’ ich mich im eb’nen Plan,
Flugs schlagen meine Doggen an
Und bang beginnt das Ross zu keuchen
Und bäumet sich und will nicht weichen,
Denn nahe liegt, zum Knäul geballt,
Des Feindes scheußliche Gestalt,
Und sonnet sich auf warmem Grunde.
Auf jagen ihn die flinken Hunde,
Doch wenden sie sich pfeilgeschwind,
Als es den Rachen gähnend teilet
Und von sich haucht den gift’gen Wind
Und winselnd wie der Schakal heulet.”

  “Doch schnell erfrisch ich ihren Mut,
Sie fassen ihren Feind mit Wut.
Indem ich nach des Tieres Lende
Aus starker Faust den Speer versende,
Doch machtlos, wie ein dünner Stab
Prallt er vom Schuppenpanzer ab
Und eh’ ich meinen Wurf erneuet,
Da bäumet sich mein Ross und scheuet
An seinem Basiliskenblick
Und seines Atems gift’gem Wehen
Und mit Entsetzen springt’s zurück
Und jetzo war’s um mich geschehen” –

  “Da schwing’ ich mich behend vom Ross,
Schnell ist des Schwertes Schneide bloß,
Doch alle Streiche sind verloren,
Den Felsenharnisch zu durchbohren
Und wüthend mit des Schweifes Kraft
Hat es zur Erde mich gerafft.
Schon seh’ ich seinen Rachen gähnen.
Es haut nach mir mit grimmen Zähnen,
Als meine Hunde wutentbrannt
An seinen Bauch mit grimm’gen Bissen
Sich warfen, dass es heulend stand,
Von ungeheurem Schmerz zerrissen.”

  “Und eh’ es ihren Bissen sich
Entwindet, rasch erheb’ ich mich,
Erspähe mir des Feindes Blöße
Und stoße tief ihm ins Gekröse
Nachbohrend bis ans Heft den Stahl,
Schwarzquellend springt des Blutes Strahl.
Hin sinkt es und begräbt im Falle
Mich mit des Leibes Riesenballe,
Dass schnell die Sinne mir vergehn
Und als ich neugestärkt erwache,
Seh’ ich die Knappen um mich stehn,
Und tot im Blute liegt der Drache.” –

  Des Beifalls lang gehemmte Lust
Befreit jetzt aller Hörer Brust,
So wie der Ritter dies gesprochen
Und zehnfach am Gewölb’ gebrochen,
Wälzt der vermischten Stimmen Schall
Sich brausend fort im Widerhall.
Laut fordern selbst des Ordens Söhne,
Dass man die Heldenstirne kröne
Und dankbar im Triumphgepräng
Will ihn das Volk dem Volke zeigen,
Da faltet seine Stirne streng
Der Meister und gebietet Schweigen.

  Und spricht: “Den Drachen, der dies Land
Verheert, schlugst Du mit tapfrer Hand.
Ein Gott bist Du dem Volke worden.
Ein Feind kommst Du zurück dem Orden
Und einen schlimmern Wurm gebar
Dein Herz, als dieser Drache war.
Die Schlange, die das Herz vergiftet,
Die Zwietracht und Verderben stiftet,
Das ist der widerspenst’ge Geist,
Der gegen Zucht sich frech empöret,
Der Ordnung heilig Band zerreißt,
Denn der ist’s, der die Welt zerstöret.”

  “Mut zeiget auch der Mameluck,
Gehorsam ist des Christen Schmuck,
Denn wo der Herr in seiner Größe
Gewandelt hat in Knechtes Blöße,
Da stifteten, auf heil’gem Grund,
Die Väter dieses Ordens Bund,
Der Pflichten schwerste zu erfüllen,
Zu bändigen den eignen Willen!
Dich hat der eitle Ruhm bewegt,
Drum wende dich aus meinen Blicken,
Denn wer des Herren Joch nicht trägt,
Darf sich mit seinem Kreuz nicht schmücken.”

  Da bricht die Menge tobend aus,
Gewalt’ger Sturm bewegt das Haus,
Um Gnade flehen alle Brüder,
Doch schweigend blickt der Jüngling nieder,
Still legt er von sich das Gewand
Und küsst des Meisters strenge Hand
Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke,
Dann ruft er liebend ihn zurücke
Und spricht: “Umarme mich mein Sohn!
Dir ist der härt’re Kampf gelungen.
Nimm dieses Kreuz, es ist der Lohn
Der Demut, die sich selbst bezwungen.”

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-113. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-105. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.