Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die Kindesmörderin

 

Horch – die Glocken hallen dumpf zusammen
  Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf.
Nun, so sei’s denn! – Nun, in Gottes Namen!
  Grabgefährten brecht zum Richtplatz auf.
Nimm, o Welt, die letzten Abschiedsküsse!
  Diese Tränen nimm, o Welt, noch hin.
Deine Gifte – o, sie schmeckten süße! –
  Wir sind quitt du Herzvergifterin.

Fahret wohl, ihr Freuden dieser Sonne
  Gegen schwarzen Moder umgetauscht!
Fahre wohl, du Rosenzeit voll Wonne,
  Die so oft das Mädchen lustberauscht.
Fahret wohl, ihr goldgewebten Träume,
  Paradieseskinder Phantasie’n!
Weh! Sie starben schon im Morgenkeime,
  Ewig nimmer an das Licht zu blühn.

Schön geschmückt mit rosenroten Schleifen
  Deckte mich der Unschuld Schwanenkleid,
In der blonden Locken loses Schweifen
  Waren junge Rosen eingestreut.
Wehe! – Die Geopferte der Hölle
  Schmückt noch itzt das weißliche Gewand,
Aber ach! – Der Rosenschleifen Stelle
  Nahm ein schwarzes Totenband.

Weinet um mich, die ihr nie gefallen,
  Denen noch der Unschuld Lilien blühn,
Denen zu dem weichen Busenwallen
  Heldenstärke die Natur verliehn!
Wehe! – Menschlich hat dies Herz empfunden!
  Und Empfindung soll mein Richtschwert sein!
Weh! Vom Arm des falschen Manns umwunden,
  Schlief Louisens Tugend ein.

Ach, vielleicht umflattert eine and’re
  Mein Vergessen, dieses Schlangenherz,
Überfließt, wenn ich zum Grabe wand’re,
  An dem Putztisch in verliebtem Scherz?
Spielt vielleicht mit seines Mädchens Locke,
  Schlingt den Kuss, den sie entgegenbringt,
Wenn verspritzt auf diesem Todesblocke
  Hoch mein Blut vom Rumpf springt.

Joseph! Joseph! Auf entfernte Meilen
  Folge Dir Louisens Totenchor
Und des Glockenturmes dumpfes Heulen
  Schlage schrecklich mahnend an Dein Ohr –
Wenn von eines Mädchens weichem Munde
  Dir der Liebe sanft Gelispel quillt,
Bohr es plötzlich eine Höllenwunde
  In der Wollust Rosenbild!

Ha, Verräter! Nicht Louisens Schmerzen?
  Nicht des Weibes Schande, harter Mann?
Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?
  Nicht was Löw’ und Tiger schmelzen kann?
Seine Segel fliegen stolz vom Lande!
  Meine Augen zittern dunkel nach,
Um die Mädchen an der S e i n e Strande
  Winselt er sein falsches Ach!

Und das Kindlein – in der Mutter Schoße
  Lag es da in süßer gold’ner Ruh.
In dem Reiz der jungen Morgenrose
  Lachte mir der holde Kleine zu.
Tötlich lieblich sprach aus allen Zügen
  Sein geliebtes teures Bild mich an,
Den beklomm’nen Mutterbusen wiegen
  Liebe und – Verzweiflungswahn.

“Weib, wo ist mein Vater?” lallte
  Seiner Unschuld stumme Donnersprach’,
“Weib, wo ist Dein Gatte?” hallte
  Jeder Winkel meines Herzens nach –
Weh, umsonst wirst Waise Du ihn suchen,
  Der vielleicht schon and’re Kinder herzt,
Wirst der Stunde uns’res Glückes fluchen,
  Wenn Dich einst der Name Bastard schwärzt.

Deine Mutter – o, im Busen Hölle!
  Einsam sitzt sie in dem All der Welt,
Durstet ewig an der Freudenquelle,
  Die Dein Anblick fürchterlich vergällt.
Ach, mit jedem Laut von Dir erklingen
  Schmerzgefühle des vergang’nen Glücks,
Und des Todes bitt’re Pfeile dringen
  Aus dem Lächeln Deines Kinderblicks.

Hölle, Hölle, wo ich Dich vermisse.
  Hölle, wo mein Auge Dich erblickt.
Eumenidenruten Deine Küsse,
  Die von s e i n e n Lippen mich entzückt,
Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,
  Ewig, ewig würgt sein Meineid fort.
Ewig – hier umstrickte mich die Hyder –
  Und vollendet war der Mord.

Joseph! Joseph! Auf entfernte Meilen
  Jage Dir der grimme Schatten nach,
Mög’ mit kalten Armen Dich ereilen,
  Donn’re Dich aus Wonneträumen wach.
Im Geflimmer sanfter Sterne zucke
  Dir des Kindes grasser Sterbeblick,
Es begegne Dir im blut’gen Schmucke,
  Geißle Dich vom Paradies zurück.

Seht! Da lag’s entseelt zu meinen Füßen –
  Kalt hinstarrend, mit verworr’nem Sinn
Sah’ ich seines Blutes Ströme fließen
  Und mein Leben floss mit ihm dahin. –
Schrecklich pocht schon des Gerichtes Bote,
  Schrecklicher mein Herz!
Freudig eilt’ ich, in dem kalten Tode
  Auszulöschen meinen Flammenschmerz.

Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,
  Dir verzeiht die Sünderin.
Meinen Groll will ich der Erde weihen,
  Schlage Flamme durch den Holzstoß hin –
Glücklich! Glücklich! Seine Briefe lodern,
  Seine Eide frisst ein siegend Feu’r,
Seine Küsse! Wie sie hochauf lodern! –
  Was auf Erden war mir einst so teu’r?

Trauet nicht den Rosen Eurer Jugend,
  Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!
Schönheit war die Falle meiner Tugend,
  Auf der Richtstatt hier verfluch’ ich sie! –
Zähren? Zähren in des Würgers Blicken?
  Schnell die Binde um mein Angesicht!
Henker, kannst Du keine Lilie knicken?
  Bleicher Henker, zittre nicht!

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 6-90. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Erster und Zweiter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1812. Seite 4-23. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.