Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die Künstler

 

  Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige
Stehst Du an des Jahrhunderts Neige,
In edler stolzer Männlichkeit,
Mit aufgeschloss’nem Sinn, mit Geistesfülle,
Voll milden Ernsts, in tatenreicher Stille,
Der reifste Sohn der Zeit,
Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze,
Durch Sanftmut groß und reich durch Schätze,
Die lange Zeit Dein Busen Dir verschwieg,
Herr der Natur, die Deine Fesseln liebet,
Die Deine Kraft in tausend Kämpfen übet,
Und prangend unter Dir aus der Verwild’rung stieg!

  Berauscht von dem errung’nen Sieg,
Verlerne nicht die Hand zu preisen,
Die an des Lebens ödem Strand
Den weinenden, verlass’nen Waisen
Des wilden Zufalls Beute, fand,
Die frühe schon der künft’gen Geisterwürde,
Dein junges Herz im Stillen zugekehrt,
Und die befleckende Begierde
Von Deinem zarten Busen abgewehrt,
Die Gütige, die Deine Jungend
In hohen Pflichten spielend unterwies
Und das Geheimnis der erhab’nen Tugend
In leichten Rätseln Dich erraten ließ,
Die, reifer nur ihn wieder zu empfangen,
In fremde Arme ihren Liebling gab,
O, falle nicht mit ausgeartetem Verlangen
Zu ihren niedern Dienerinnen ab!
Im Fleiß kann Dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm Dein Lehrer sein,
Dein Wissen teilest Du mit vorgezog’nen Geistern,
Die Kunst, o Mensch, hast Du allein.

  Nur durch das Morgentor des Schönen
Drangst Du in der Erkenntnis Land.
An höhern Glanz sich zu gewöhnen,
Übt sich am Reize der Verstand.
Was bei dem Saitenklang der Musen
Mit süßem Beben Dich durchdrang,
Erzog die Kraft in Deinem Busen,
Die sich dereinst zum Weltgeist schwang.

  Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen,
Die alternde Vernunft erfand,
Lag im Symbol des Schönen und des Großen,
Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand.
Ihr holdes Bild hieß uns die Tugend lieben,
Ein zarter Sinn hat vor dem Laster sich gesträubt,
Eh’ noch ein Solon das Gesetz geschrieben,
Das matte Blüten langsam treibt.
Eh’ vor des Denkers Geist der kühne
Begriff des ew’gen Raumes stand,
Wer sah hinauf zur Sternenbühne,
Der ihn nicht ahnend schon empfand?

  Die, eine Glorie von Orionen
Um’s Angesicht, in hehrer Majestät,
Nur angeschaut von reineren Dämonen,
Verzehrend über Sternen geht,
Gefloh’n auf ihrem Sonnenthrone,
Die furchtbar herrliche Urania,
Mit abgelegter Feuerkrone,
Steht sie – als Schönheit vor uns da.
Der Anmut Gürtel umgewunden,
Wird sie zum Kind, dass Kinder sie verstehn,
Was wir als Schönheit hier empfunden,
Wird einst als Wahrheit uns entgegen gehn.

  Als der Erschaffende von seinem Angesichte
Den Menschen in die Sterblichkeit verwies,
Und eine späte Wiederkehr zum Lichte
Auf schwerem Sinnenpfad ihn finden hieß,
Als alle Himmlischen ihr Antlitz von ihm wandten,
Schloss sie, die Menschliche, allein
Mit dem Verlassenen, Verbannten
Großmütig in die Sterblichkeit sich ein.
Hier schwebt sie, mit gesenktem Fluge,
Um ihren Liebling, nah am Sinnenland,
Und malt mit lieblichem Betruge
Elysium auf seine Kerkerwand.

  Als in den weichen Armen dieser Amme
Die zarte Menschheit noch geruht,
Da schürte heil’ge Mordsucht seine Flamme,
Da rauchte kein unschuldig Blut.
Das Herz, das sie an sanften Banden lenket,
Verschmäht der Pflichten knechtisches Geleit.
Ihr Lichtpfad, schöner nur geschlungen, senket
Sich in die Sonnenbahn der Sittlichkeit.
Die ihrem keuschen Dienste leben
Versucht kein nied’rer Trieb, bleicht kein Geschick.
Wie unter heilige Gewalt gegeben,
Empfangen sie das reine Geisterleben,
Der Freiheit süßes Recht, zurück.

  Glückselige, die sie – aus Millionen
Die reinsten – ihrem Dienst geweiht,
In deren Brust sie würdigte zu thronen,
Durch deren Mund die Mächtige gebeut,
Die sie auf ewig flammenden Altären
Erkohr, das heil’ge Feuer ihr zu nähren,
Vor deren Aug’ allein sie hüllenlos erscheint,
Die sie in sanftem Bund um sich vereint!
Freut euch der ehrenvollen Stufe,
Worauf die hohe Ordnung euch gestellt!
In die erhab’ne Geisterwelt
War’t ihr der Menschheit erste Stufe!

  Eh’ ihr das Gleichmaß in die Welt gebracht,
Dem alle Wesen freudig dienen –
Ein unermess’ner Bau, im schwarzen Flor der Nacht
Nächst um ihn her, mit mattem Strahl beschienen,
Ein streitendes Gestaltenheer,
Die seinen Sinn in Sklavenbanden hielten
Und ungesellig, rau wie er,
Mit tausend Kräften auf ihn zielten,
– So stand die Schöpfung vor dem Wilden.
Durch der Begierde blinde Fessel nur
An die Erscheinungen gebunden,
Entfloh ihm, ungenossen, unempfunden,
Die schöne Seele der Natur.

  Und wie sie fliehend jetzt vorüber fuhr,
Ergriffet Ihr die nachbarlichen Schatten
Mit zartem Sinn, mit stiller Hand
Und lerntet in harmon’schem Band
Gesellig sie zusammen gatten.
Leicht schwebend fühlte sich der Blick
Vom schlanken Wuchs der Zeder aufgezogen,
Gefällig strahlte der Kristall der Wogen
Die hüpfende Gestalt zurück.
Wie konntet Ihr des schönen Winks verfehlen,
Womit Euch die Natur hilfreich entgegen kam?
Die Kunst, den Schatten Ihr nachahmend abzustehlen,
Wies Euch das Bild, das auf der Woge schwamm.
Von ihrem Wesen abgeschieden,
Ihr eig’nes liebliches Phantom,
Warf sie sich in den Silberstrom,
Sich ihrem Räuber anzubieten.
Die schöne Bildkraft ward in Eurem Busen wach.
Zu edel schon, nicht müßig zu empfangen,
Schuft Ihr im Sand – im Ton den holden Schatten nach,
Im Umriss war sein Dasein aufgefangen.
Lebendig regte sich des Wirkens süße Lust –
Die erste Schöpfung trat aus Eurer Brust.

  Von der Betrachtung angehalten,
Von Eurem Späheraug’ umstrickt,
Verrieten die vertraulichen Gestalten
Den Talisman, wodurch sie Euch entzückt.
Die wunderwirkenden Gesetze,
Des Reizes ausgeforschte Schätze
Verknüpfte der erfindende Verstand
In leichtem Bund in Werken Eurer Hand.
Der Obeliske stieg, die Pyramide,
Die Herme stand, die Säule sprang empor,
Des Waldes Melodie floss aus dem Haberrohr,
Und Siegestaten lebten in dem Liede.

  Die Auswahl einer Blumenflur,
Mit weiser Wahl in einen Strauß gebunden,
So trat die erste Kunst aus der Natur.
Jetzt werden Sträuße schon in einen Kranz gewunden
Und eine zweite höh’re Kunst erstand
Aus Schöpfungen der Menschenhand.
Das Kind der Schönheit, sich allein genug,
Vollendet schon aus Eurer Hand gegangen,
Verliert die Krone, die es trug
Sobald es Wirklichkeit empfangen.
Die Säule muss, dem Gleichmaß untertan,
An ihre Schwestern nachbarlich sich schließen,
Der Held im Heldenheer zerfließen.
Des Mäoniden Harfe stimmt voran.

  Bald drängten sich die staunenden Barbaren
Zu diesen neuen Schöpfungen heran.
Seht, riefen die erfreuten Scharen,
Seht an, das hat der Mensch getan!
In lustigen geselligeren Paaren
Riss sie des Sängers Leier nach,
Der von Titanen sang und Riesenschlachten
Und Löwentötern, die, solang der Sänger sprach,
Aus seinen Hörern Helden machten.
Zum erstenmal genießt der Geist,
Erquickt von ruhigeren Freuden,
Die aus der Ferne nur ihn weiden,
Die seine Gier nicht in sein Wesen reißt,
Die im Genusse nicht verscheiden.

  Jetzt wand sich von dem Sinnenschlafe
Die freie, schöne Seele los,
Durch Euch entfesselt, sprang der Sklave
Der Sorge in der Freude Schoß.
Jetzt fiel der Tierheit dumpfe Schranke
Und Menschheit trat auf die entwölkte Stirn
Und der erhab’ne Fremdling, der Gedanke,
Sprang aus dem staunenden Gehirn.
Jetzt stand der Mensch und wies den Sternen
Das königliche Angesicht,
Schon dankte nach erhab’nen Fernen
Sein sprechend Aug’ dem Sonnenlicht.
Das Lächeln blühte auf der Wange,
Der Stimme seelenvolles Spiel
Entfaltete sich zum Gesange,
Im feuchten Auge schwamm Gefühl
Und Scherz mit Huld in anmutsvollem Bunde
Entquollen dem beseelten Munde.

  Begraben in des Wurmes Triebe,
Umschlungen von des Sinnes Lust,
Erkanntet Ihr in seiner Brust
Den edeln Keim der Geisterliebe.
Dass von des Sinnes nied’rem Triebe
Der Liebe bess’rer Keim sich schied,
Dankt er dem ersten Hirtenlied.
Geadelt zur Gedankenwürde,
Floss die verschämtere Begierde
Melodisch aus des Sängers Mund.
Sanft glühten die betauten Wangen,
Das überlebende Verlangen
Verkündigte der Seelen Bund.

  Der Weisen Weisestes, der Milden Milde,
Der Starken Kraft, der Edeln Grazie,
Vermähltet ihr in einem Bilde
Und stelltet es in eine Glorie.
Der Mensch erbebte vor dem Unbekannten,
Er liebte seinen Widerschein
Und herrliche Heroen brannten
Dem großen Wesen gleich zu sein,
Den ersten Klang vom Urbild alles Schönen
Ihr ließet ihn in der Natur ertönen.

  Der Leidenschaften wilden Drang
Des Glückes regellose Spiele,
Der Pflichten und Instinkte Zwang
Stellt ihr mit prüfendem Gefühle,
Mit strengem Richtscheid nach dem Ziele.
Was die Natur auf ihrem großen Gange
In weiten Fernen auseinander zieht,
Wird auf dem Schauplatz, im Gesange
Der Ordnung leicht gefaßtes Glied.
Vom Eumenidenchor geschrecket,
Zieht sich der Mord, auch nie entdecket,
Das Los des Todes aus dem Lied.
Lang, eh’ die Weisen ihren Ausspruch wagen,
Lößt eine Ilias des Schicksals Rätselfragen
Der jugendlichen Vorwelt auf.
Still wandelte von Thespis Wagen
Die Vorsicht in den Weltenlauf.

  Doch in den großen Weltenlauf
Ward Euer Ebenmaß zu früh getragen.
Als des Geschickes dunkle Hand,
Was sie vor Eurem Auge schürte,
Vor Eurem Aug’ nicht auseinander band,
Das Leben in die Tiefe schwand,
Eh’ es den schönen Kreis vollführte –
Da führtet Ihr aus kühner Eigenmacht
Den Bogen weiter durch der Zukunft Nacht;
Da stürztet ihr Euch ohne Beben
In des Avernus schwarzen Ozean
Und trafet das entfloh’ne Leben
Jenseits der Urne wieder an.
Da zeigte sich mit umgestürztem Lichte,
An Kastor angelehnt, ein blühend Polluxbild.
Der Schatten in des Mondes Angesichte,
Eh’ sich der schöne Silberkreis erfüllt.

  Doch höher stets, zu immer höhern Höhen
Schwang sich das schaffende Genie.
Schon sieht man Schöpfungen aus Schöpfungen erstehen,
Aus Harmonien Harmonie.
Was hier allein das trunk’ne Aug’ entzückt,
Dient unterwürfig dort der höher’n Schöne.
Der Reiz, der diese Nymphe schmückt,
Schmilzt sanft in eine göttliche Athene:
Die Kraft, die in des Ringers Muskel schwillt,
Muss in des Gottes Schönheit lieblich schweigen.
Das Staunen seiner Zeit, das stolze Jovisbild
Im Tempel zu Olympia sich neigen.

  Die Welt, verwandelt durch den Fleiß,
Das Menschenherz, bewegt von neuen Trieben,
Die sich in heißen Kämpfen üben,
Erweitern Euren Schöpfungskreis.
Der fortgeschritt’ne Mensch trägt auf erhob’nen Schwingen
Dankbar die Kunst mit sich empor
Und neue Schönheitswelten springen
Aus der bereicherten Natur hervor.
Des Wissens Schranken gehen auf,
Der Geist, in Euren leichten Siegen
Geübt mit schnell gezeitigtem Vergnügen,
Ein künstlich All von Reizen zu durcheilen,
Stellt der Natur entlegenere Säulen,
Ereilet sie auf ihrem dunkeln Lauf.
Jetzt wägt er sie mit menschlichen Gewichten,
Misst sie mit Maßen, die sie ihm geliehn.
Verständlicher in seiner Schönheit Pfichten
Muss sie an seinem Aug’ vorüberziehn,
In selbstgefäll’ger jugendlicher Freude
Leiht er den Sphären seine Harmonie
Und preiset er das Weltgebäude,
So prangt es durch die Symmetrie.

  In allem was ihn jetzt umlebet,
Spricht ihn das holde Gleichmaß an,
Der Schönheit gold’ner Gürtel webet
Sich mild in seine Lebensbahn.
Die selige Vollendung schwebet
In Euren Werken siegend ihm voran.
Wohin die laute Freude eilet,
Wohin der stille Kummer flieht,
Wo die Betrachtung denkend weilet,
Wo er des Elends Tränen sieht,
Wo tausend Schrecken auf ihn zielen,
Folgt ihm ein Harmonienbach
Sieht er die Huldgöttinnen spielen
Und ringt in still verfeinerten Gefühlen
Der lieblichen Begleitung nach.
Sanft, wie des Reizes Linien sich winden,
Wie die Erscheinungen um ihn
In welchem Umriss ineinander schwinden,
Flieht seines Lebens leichter Hauch dahin.
Sein Geist zerrinnt im Harmonienmeere,
Das seine Sinne wollustreich umfließt
Und der hinschmelzende Gedanke schließt
Sich still an die allgegenwärtige Kythere.
Mit dem Geschick in hoher Einigkeit.
Gelassen hingestützt auf Grazien und Musen,
Empfängt er das Geschoss, das ihn bedräut,
Mit freundlich dargebot’nem Busen,
Vom sanften Bogen der Notwendigkeit.

  Vertraute Lieblinge der sel’gen Harmonie,
Erfreuende Begleiter durch das Leben,
Das Edelste, das Teuerste, was sie
Die Leben gab, zum Leben uns gegeben!
Dass der entjochte Mensch jetzt seine Pflichten denkt,
Die Fessel liebet, die ihn lenkt,
Kein Zufall mehr mit eh’rnem Zepter ihm gebeut,
Dies dankt Euch – Eure Ewigkeit,
Und ein erhab’ner Lohn in Eurem Herzen.
Dass um den Kelch, worin uns Freiheit rinnt,
Der Freude Götter lustig scherzen,
Der holde Traum sich lieblich spinnt,
Dafür seid liebevoll umfangen!

  Dem prangenden, dem heitern Geist,
Der die Notwendigkeit mit Grazie umzogen,
Der seinen Äther, seinen Sternenbogen
Mit Anmut uns bedienen heißt,
Der, wo er schreckt, noch durch Erhabenheit entzücket
Und zum Verherren selbst sich schmücket,
Dem großen Künstler ahmt ihr nach.
Wie auf dem spiegelhellen Bach
Die bunten Ufer tanzend schweben,
Das Abendrot, das Blütenfeld,
So schimmert auf dem dürft’gen Leben
Der Dichtung munt’re Schattenwelt.
Ihr führet uns im Brautgewande
Die fürchterliche Unbekannte,
Die unerweichte Parze vor.
Wie Eure Urnen die Gebeine,
Deckt Ihr mit holdem Zauberscheine
Der Sorgen schauervollen Chor.
Jahrtausende hab’ ich durcheilet,
Der Vorwelt unabsehlich Reich:
Wie lacht die Menschheit, wo Ihr weilet,
Wie traurig liegt sie hinter Euch!

  Die einst mit flüchtigem Gefieder
Voll Kraft aus Euren Schöpferhänden stieg,
In Eurem Arm fand sie sich wieder,
Als durch der Zeiten stillen Sieg,
Des Lebens Blüte von der Wange,
Die Stärke von den Gliedern wich
Und traurig, mit entnervtem Gange,
Der Greis an seinem Stabe schlich.
Da reichtet Ihr aus frischer Quelle
Dem Lechzenden die Lebenswelle
Zweimal verjüngte sich die Zeit,
Zweimal von Samen, die ihr ausgestreut.

  Vertrieben von Barbarenheeren,
Entrisset ihr den letzten Opferbrand
Des Orients entheiligten Altären
Und brachtet ihn dem Abendland.
Da stieg der schöne Flüchtling aus dem Osten,
Der junge Tag, im Westen neu empor
Und auf Hesperiens Gefilden sproßten
Verjüngte Blüten Ioniens hervor.
Die schönere Natur warf in die Seelen
Sanft spiegelnd einen schönen Widerschein
Und prangend zog in die geschmückten Seelen
Des Lichtes große Göttinn ein.
Da sah man Millionen Ketten fallen
Und über Sklaven sprach jetzt Menschenrecht,
Wie Brüder friedlich miteinander wallen,
So mild erwuchs das jüngere Geschlecht.
Mit inn’rer hoher Freudenfülle
Genießt ihr das gegeb’ne Glück
Und tretet in der Demut Hülle
Mit schweigendem Verdienst zurück.

  Wenn auf des Denkens frei gegeb’nen Bahnen
Der Forscher jetzt mit kühnem Glücke schweift
Und, trunken von siegrufenden Päanen,
Mit rascher Hand schon nach der Krone greift.
Wenn er mit niederm Söldnerslohne
Den edeln Führer zu entlassen glaubt.
Und neben dem geträumten Throne
Der Kunst den ersten Sklavenplatz erlaubt: –
Verzeiht ihm – der Vollendung Krone
Schwebt glänzend über Eurem Haupt.
Mit euch, des Frühlings erster Pflanze,
Begann die seelenbildende Natur,
Mit Euch, dem freud’gen Erntekranze,
Schließt die vollendende Natur.

  Die von dem Thon, dem Stein bescheiden aufgestiegen,
Die schöpferische Kunst, umschließt mit stillen Siegen
Des Geistes unermess’nes Reich.
Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen,
Entdecken sie, ersiegen sie für Euch.
Der Schätze, die der Denker aufgehäufet,
Wird er in Euren Armen erst sich freun,
Wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet,
Zum Kunstwerk wird geadelt sein –
Wenn er auf einem Hügel mit Euch steiget,
Und seinem Auge sich, in mildem Abendschein,
Das malerische Tal – auf einmal zeiget.
Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget,
Je höh’re schön’re Ordnungen der Geist
In einem Zauberbund durchflieget,
In einem schwelgenden Genuss umkreis’t.
Je weiter sich Gedanken und Gefühle,
Dem üppigeren Harmonienspiele,
Dem reichern Strom der Schönheit aufgetan –
Je schön’re Glieder aus dem Weltenplan,
Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden,
Sieht er die hohen Formen dann vollenden,
Je schön’re Rätsel treten aus der Nacht,
Je reicher wird die Welt, die er umschließet,
Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet,
Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht,
Je höher streben seine Triebe,
Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe.
So führt ihn, in verborg’nem Lauf,
Durch immer rein’re Formen, reine Töne,
Durch immer höh’re Höhn und immer schön’re Schöne
Der Dichtung Blumenleiter still hinauf –
Zuletzt, am reifen Ziel der Zeiten,
Noch eine glückliche Begeisterung,
Des jüngsten Menschenalters Dichterschwung,
Und – in der Wahrheit Arme wird er gleiten.

  Sie selbst, die sanfte Cypria,
Umleuchtet von der Feuerkrone,
Steht dann vor ihrem münd’gen Sohne
Entschleiert – als Urania.
So schneller nur von ihm erhaschet,
Je schöner er von ihr geflohn!
So süß, so selig überraschet,
Stand einst Ulyssens edler Sohn,
Da seiner Jugend himmlischer Gefährte
Zu Jovis Tochter sich verklärte.

  Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit Euch! Mit Euch wird sie sich heben!
Der Dichtung heilige Magie
Dient einem weisen Weltenplane,
Still lenke sie zum Ozeane
Der großen Harmonie!

  Von ihrer Zeit verstoßen flüchte
Die ernste Wahrheit zum Gedichte
Und finde Schutz in der Chamönen Chor.
In ihres Glanzes höchster Fülle,
Furchtbarer in des Reizes Hülle,
Erstehe sie in dem Gesange
Und räche sich mit Siegesklange
An des Verfolgers feigem Ohr.

  Der freisten Mutter freie Söhne,
Schwingt Euch mit festem Angesicht
Zum Strahlensitz der höchsten Schöne,
Um andre Kronen buhlet nicht.
Die Schwester, die Euch hier verschwunden,
Holt ihr im Schoß der Mutter ein.
Was schöne Seelen schön empfunden,
Muss trefflich und vollkommen sein.
Erhebet Euch mit kühnem Flügel
Hoch über Euren Zeitenlauf.
Fern dämm’re schon in Eurem Spiegel
Das kommende Jahrhundert auf.
Auf tausendfach verschlung’nen Wegen
Der reichen Mannigfaltigkeit
Kommt dann umarmend Euch entgegen
Am Thron der hohen Einigkeit.
Wie sich in sieben milden Strahlen
Der weiße Schimmer lieblich bricht,
Wie sieben Regenbogenstrahlen
Zerrinnen in das weiße Licht,
So spielt in tausendfacher Klarheit
Bezaubernd um den trunk’nen Blick,
So fließt in einen Bund der Wahrheit,
In einen Strom des Lichts zurück!

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 6-41. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Dritter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1812. Seite 3-411. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.