Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Nadowessische Totenklage

 

Seht! Da sitzt er auf der Matte.
  Aufrecht sitzt er da,
Mit dem Anstand, den er hatte,
  Als er’s Licht noch sah.

Doch wo ist die Kraft der Fäuste,
  Wo des Atems Hauch,
Der noch jüngst zum großen Geiste
  Blies der Pfeife Rauch?

Wo die Augen, falkenhelle,
  Die des Rentiers Spur
Zählten auf des Grases Welle,
  Auf dem Tau der Flur.

Diese Schenkel, die behänder
  Flohen durch den Schnee
Als der Hirsch, der Zwanzigender,
  Als des Berges Reh.

Diese Arme, die den Bogen
  Spannten streng und straff?
Seht, das Leben ist entflogen.
  Seht, sie hängen schlaff!

Wohl ihm! Er ist hingegangen,
  Wo kein Schnee mehr ist,
Wo mit Mais die Felder prangen,
  Der von selber sprießt.

Wo mit Vögeln alle Sträuche,
  Wo der Wald mit Wild,
Wo mit Fischen alle Teiche
  Lustig sind gefüllt.

Mit den Geistern speist er droben,
  Ließ uns hier allein,
Dass wir seine Taten loben,
  Und ihn scharren ein.

Bringet her die letzten Gaben,
  Stimmt die Totenklag’!
Alles sei mit ihm begraben,
  Was ihn freuen mag.

Legt ihm unters Haupt die Beile,
  Die er tapfer schwang,
Auch des Bären fette Keule,
  Denn der Weg ist lang.

Auch das Messer scharf geschliffen,
  Das vom Feindeskopf,
Rasch mit drei geschickten, Griffen
  Schälte Haut und Schopf.

Farben auch, den Leib zu malen,
  Steckt ihm in die Hand,
Dass er rötlich möge strahlen
  In der Seelen Land.

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-202. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-41. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.