Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die vier Weltalter

 

Wohl perlet im Glase der purpurne Wein,
  Wohl glänzen die Augen der Gäste,
Es zeigt sich der Sänger, er tritt herein,
  Zu dem Guten bringt er das Beste,
Denn ohne die Leier im himmlischen Saal,
Ist die Freude gemein auch beim Nektarmahl.

Ihm gaben die Götter das reine Gemüt,
  Wo die Welt sich, die ewige, spiegelt,
Er hat alles gesehn, was auf Erden geschieht
  Und was uns die Zukunft versiegelt.
Er saß in der Götter urältestem Rat
Und behorchte der Dinge geheimste Saat.

Er breitet es lustig und glänzend aus
  Das zusammengefaltete Leben,
Zum Tempel schmückt er das irdische Haus,
  Ihm hat es die Muse gegeben,
Kein Dach ist so niedrig, keine Hütte so klein,
Er führt einen Himmel voll Götter hinein.

Und, wie der erfindende Sohn des Zeus,
  Auf des Schildes einfachem Runde
Die Erde, das Meer und den Sternenkreis
  Gebildet mit göttlicher Kunde,
So drückt er ein Bild des unendlichen All
In des Augenblicks flüchtig verrauschenden Schall.

Er kommt aus dem kindlichen Alter der Welt,
  Wo die Völker sich jungendlich freuten.
Er hat sich, ein fröhlicher Wandrer, gesellt
  Zu allen Geschlechtern und Zeiten.
V i e r Menschenalter hat er gesehn,
Und lässt sie am F ü n f t e n vorübergehn.

Erst regierte Saturnus, schlicht und gerecht,
  Da war es heute wie morgen,
Da lebten die Hirten, ein harmlos Geschlecht
  Und brauchten für gar nichts zu sorgen.
Sie liebten und taten weiter nichts mehr,
Die Erde gab alles freiwillig her.

Drauf kam die Arbeit, der Kampf begann
  Mit Ungeheuern und Drachen
Und die Helden fingen, die Herrscher, an
  Und den Mächtigen suchten die Schwachen
Und der Streit zog in des Skamanders Feld,
Doch die Schönheit war immer der Gott der Welt.

Aus dem Kampf ging endlich der Sieg hervor
  Und der Kraft erblühte die Milde.
Da sangen die Musen im himmlischen Chor,
  Da erhuben sich Göttergebilde!
Das Alter der göttlichen Phantasie,
Es ist verschwunden, es kehret nie.

Die Götter sanken vom Himmelsthron,
  Es stürzten die herrlichen Säulen
Und geboren wurde der Jungfrau Sohn,
  Die Gebrechen der Erde zu heilen,
Verbannt ward der Sinne flüchtige Lust
Und der Mensch griff d e n k e n d in seine Brust.

Und der eitle, der üppige Reiz entwich,
  Der die frohe Jugendwelt zierte,
Der Mönch und die Nonne zergeisselten sich
  Und der eiserne Ritter turnierte.
Doch war das Leben auch finster und wild,
So blieb doch die Liebe lieblich und mild.

Und einen heiligen, keuschen Altar
  Bewahrten sich stille die Musen,
Es lebte, was edel und sittlich war,
  In der Frauen züchtigem Busen.
Die Flamme des Liedes entbrannte neu
An der schönen Minne und Liebestreu.

Drum soll auch ein ewiges zartes Band
  Die Frauen, die Sänger umflechten,
Sie wirken und weben Hand in Hand
  Den Gürtel des Schönen und Rechten.
Gesang und Liebe in schönem Verein
Sie erhalten dem Leben den Jugendschein.

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 6-33. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-32. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.