Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Votivtafeln

 

Was der Gott mich gelehrt, was mir durchs Leben geholfen,
  Häng’ ich, dankbar und fromm, hier in dem Heiligtum auf.

Die verschiedene Bestimmung

Millionen beschäftigen sich, dass die Gattung bestehe,
  Aber durch wenige nur pflanzet die Menschheit sich fort.
Tausend Keime zerstreuet der Herbst, doch bringet kaum einer
  Früchte, zum Element kehren die meisten zurück.
Aber entfaltet sich auch nur einer, einer allein streut
  Eine lebendige Welt ewiger Bildungen aus.

Das Belebende

Nur an des Lebens Gipfel, der Blume, zündet sich neues
  In der organischen Welt, in der Empfindenden an.

Zweierlei Wirkungsarten

Wirke Gutes, Du n ä h r s t der Menschheit göttliche Pflanze,
  Bilde Schönes, Du streust K e i m e der Göttlichen aus.

Unterschied der Stände

Adel ist auch in der sittlichen Welt. Gemeine Naturen
  Zahlen mit dem, was sie t u n, edle mit dem was sie s i n d.

Das Werte und Würdige

H a s t Du etwas, so teile mir’s mit und ich zahle was Recht ist,
  B i s t Du etwas, o, dann tauschen die Seelen wir aus.

Die moralische Kraft

Kannst Du nicht schön empfinden, Dir bleibt doch vernünftig zu wollen,
  Und als ein Geist zu tun, was Du als Mensch nicht vermagst.

Mitteilung

Aus der schlechtesten Hand kann Wahrheit mächtig noch wirken,
  Bei dem Schönen allein macht das Gefäß den Gehalt.

An *

Teile mir mit, was Du weißt, ich werd’ es dankbar empfangen.
  Aber Du gibst mir Dich selbst, damit verschone mich, Freund.

An *

Du willst wahres mich lehren? Bemühe Dich nicht, nicht die Sache
  Will ich durch Dich, ich will D i c h durch die Sache nur sehn.

An ***

Dich erwähl’ ich zum Lehrer, zum Freund. Dein lebendiges Bilden
  Lehrt mich, Dein lehrendes Wort rühret lebendig mein Herz.

Jetzige Generation

War es immer wie jetzt? Ich kann das Geschlecht nicht begreifen.
  Nur das Alter ist jung, ach, und die Jugend ist alt.

An die Muse

Was ich ohne Dich wäre, ich weiß es nicht – aber mir grauet,
  Seh ich, was ohne D i c h Hundert’ und Tausende sind.

Der gelehrte Arbeiter

Nimmer labt ihn des Baumes Frucht, den er mühsam erziehet.
  Nur der Geschmack genießt, was die Gelehrsamkeit pflanzt.

Pflicht für jeden

Immer strebe zum Ganzen und kannst Du selber kein Ganzes
  Werden, als dienendes Glied schließ’ an ein Ganzes Dich an.

Aufgabe

Keiner sei gleich dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten!
  Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in s i c h.

Das eigene Ideal

Allen gehört was Du denkst, Dein eigen ist nur was Du fühlest,
  Soll er Dein Eigenthum sein, fühle den Gott, den Du denkst.

An die Mystiker

Das ist eben das wahre Geheimnis, das allen vor Augen
  Liegt, Euch ewig umgibt, aber von keinem gesehn.

Der Schlüssel

Willst Du Dich selber erkennen, so sieh’ wie die andern es treiben.
  Willst Du die andern versteh’n, blick in Dein eigenes Herz.

Der Aufpasser

Strenge wie mein Gewissen bemerkst Du, wo ich gefehlet,
  Darum hab’ ich Dich stets wie – mein Gewissen geliebt.

Weisheit und Klugheit

Willst du Freund die erhabensten Höh’n der Weisheit erfliegen,
  Mag’ es auf die Gefahr, dass Dich die Klugheit verlacht.
Die Kurzsichtige sieht nur das Ufer, das Dir zurückflieht,
  Jenes nicht, wo dereinst landet Dein mutiger Flug.

Die Übereinstimmung

Wahrheit suchen wir beide, du außen im Leben, ich innen
  In dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß.
Ist das Auge gesund, so begegnet es außen dem Schöpfer,
  Ist es das Herz, dann gewiß spiegelt es innen die Welt.

Politische Lehre

Alles sei recht, was Du tust, doch dabei lass es bewenden,
  Freund, und enthalte Dich ja, alles, was Recht ist, zu tun.
Wahrem Eifer genügt, dass das Vorhandne v o l l k o m m e n
  Sei, der Falsche will stets, dass das Vollkommene s e i.

Majestas populi

Majestät der Menschennatur! Dich soll ich beim Haufen
  Suchen? Bei wenigen nur hast Du von jeher gewohnt.
Einzelne wenige zählen, die übrigen alle sind blinde
  Nieten, ihr leeres Gewühl hüllet die Treffer nur ein.

An einen Weltverbesserer

“Alles, opfert’ ich hin”, sprichst du, “der Menschheit zu helfen,
  Eitel war der Erfolg, Hass und Verfolgung der Lohn.” –
Soll ich Dir sagen, Freund, wie ich mit Menschen es halte?
  Traue dem Spruche! Noch nie hat mich der Führer getäuscht.
Von der Menschheit – Du kannst von ihr nie groß genug denken,
  Wie Du im Busen sie trägst, prägst Du in Taten sie aus.
Auch dem Menschen, der Dir im engen Leben begegnet,
  Reich ihm, wenn er sie mag, freundlich die helfende Hand.
Nur für Regen und Tau und fürs Wohl der Menschengeschlechter
  Lass Du den Himmel, Freund, sorgen wie gestern so heut.

Meine Antipathie

Herzlich ist mir das Laster zuwider, doppel zuwider
  Ist mir’s, weil es soviel schwatzen von Tugend gemacht.
“Wie? Du hassest die Tugend?” – Ich wollte, wir übten sie alle,
  Und so spräche, will’s Gott, ferner kein Mensch mehr davon.

An die Astronomen

Schwatzet mir nicht soviel von Nebelflecken und Sonnen,
  Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch gibt?
Euer Gegenstand ist der Erhabenste freilich im Raume,
  Aber Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.

Astronomische Schriften

So unermesslich ist, so unendlich erhaben der Himmel!
  Aber der Kleinigkeitsgeist zog auch den Himmel herab.

Der beste Staat

“Woran erkenn’ ich den besten Staat?” – “Woran Du die beste
  Frau kennst!” daran, mein Freund, dass man von beiden nicht spricht.

Mein Glaube

Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
  Die Du mir nennst! – Und warum keine? Aus Religion.

Inneres und Äußeres

“Gott nur siehet das Herz” – Drum eben, weil Gott nur das Herz sieht,
  Sorge, dass wir doch auch etwas Erträgliches sehn.

Freund und Feind

Teuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen.
  Zeigt mir der Freund was ich kann, lehrt mich der Feind was ich soll.

Licht und Farbe

Wohne Du ewiglich eines dort bei dem ewiglich einen.
  Farbe, Du wechselnde, komm freundlich zum Menschen herab.

Schöne Individualität

Einig sollst Du zwar sein, doch eines nicht mit dem Ganzen.
  Durch die Vernunft bist Du eins, einig mit ihm durch das Herz.
Stimme des Ganzen ist Deine Vernunft, Dein Herz bist Du selber,
  Wohl Dir, wenn die Vernunft immer im Herzen Dir wohnt.

Die idealische Freiheit

Aus dem Leben heraus sind der Wege zwei Dir geöffnet,
  Zum Ideale führt einer, der andre zum Tod.
Siehe, dass Du bei Zeiten noch frei auf dem ersten entspringest,
  Ehe die Parze mit Zwang Dich auf dem andern entführt.

Die Mannigfaltigkeit

Viele sind gut und verständig, doch zählen für einen nur alle,
  Denn sie regiert der Begriff, ach, nicht das liebende Herz.
Traurig herrscht der Begriff, aus tausendfach wechselnden Formen
  Bringet er dürftig und leer ewig nur eine hervor.
Aber von Leben rauscht es und Lust, wo bildend die Schönheit
  Herrschet, das ewige eins wandelt sie tausendfach neu.

Die drei Alter der Natur

Leben gab ihr die Fabel, die Schule hat sie entseelet,
  Schaffendes Leben aufs neu gibt die Vernunft ihr zurück.

Der Genius

Wiederholen zwar kann der Verstand, was da schon gewesen,
  Was die Natur gebaut, bauet er wählend ihr nach.
Über Natur hinaus baut die Vernunft, doch nur in das Leere,
  Du nur Genius mehrst i n der Natur die Natur.

Der Nachahmer

Gutes aus Gutem das kann jedweder Verständige bilden,
  Aber der Genius ruft Gutes aus Schlechtem hervor.
An Gebildetem nur darfst Du, Nachahmer, Dich üben,
  Selbst Gebildetes ist Stoff nur dem bildenden Geist.

Genialität

Wodurch gibt sich der Genius kund? Wodurch sich der Schöpfer
  Kund gibt in der Natur, in dem unendlichen All.
Klar ist der Äther und doch von unermesslicher Tiefe,
  Offen dem Aug’, dem Verstand bleibt er doch ewig geheim.

Die Forscher

Alles will jetzt den Menschen von innen, von außen ergründen.
  Wahrheit, wo rettest Du Dich hin vor der wütenden Jagd?
Dich zu fangen, ziehen sie aus mit Netzen und Stangen,
  Aber mit Geistestritt schreitest Du mitten hindurch.

Die schwere Verbindung

Warum will sich Geschmack und Genie so selten vereinen?
  Jener fürchtet die Kraft, dieses verachtet den Zaum.

Korrektheit

Frei von Tadel zu sein ist der niedrigste Grad und der höchste,
  Denn nur die Ohnmacht führt oder die Größe dazu.

Das Naturgesetz

So war’s immer mein Freund und so wird’s bleiben, die Ohnmacht
  Hat die Regel für sich, aber die Kraft den Erfolg.

Wahl

Kannst Du nicht allen gefallen durch Deine Tat und Dein Kunstwerk,
  Mach’ es wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm.

Tonkunst

Leben atme die bildende Kunst, Geist fordr’ ich vom Dichter,
  Aber die Seele spricht nur Polyhymnia aus.

Sprache

Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen!
  S p r i c h t die Seele, so spricht, ach, schon die S e e l e nicht mehr.

An den Dichter

Lass die Sprache Dir sein, was der Körper den Liebenden. Er nur
  Ist’s, der die Wesen trennt und der die Wesen vereint.

Der Meister

Jeden anderen Meister erkennt man an dem, was er ausspricht.
  Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils.

Der Gürtel

In dem Gürtel bewahrt Aphrodite der Reize Geheimnis,
  Was ihr den Zauber verleiht, ist, was sie bindet, die Scham.

Dilettant

Weil ein Vers Dir gelingt in einer gebildeten Sprache,
  Die für Dich dichtet und denkt, glaubst Du schon Dichter zu sein?

Die Kunstschwätzer

Gutes in Künsten verlangt ihr! Seid ihr denn würdig des Guten,
  Das nur der ewige Krieg gegen Euch selber erzeugt?

Die Philosophien

Welche wohl bleibt von allen den Philosophien? Ich weiß nicht.
  Aber die Philosophie hoff’ ich soll ewig bestehn.

Die Gunst der Musen

Mit dem Philister stirbt auch sein Ruhm, Du, himmlische Muse
  Trägst die Dich lieben, die Du liebst, in Mnemosynens Schoß.

Der Homeruskopf als Siegel

Treuer alter Homer! Dir vertrau’ ich das zarte Geheimnis,
  Um der Liebenden Glück wisse der Sänger allein.

 


 

Überarbeitet auf Basis folgender Quellen:

  1. Gedichte von Friedrich Schiller. Siegfried Lebrecht Crusius, Leipzig, 1804. Seite 4-303. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.
  2. Friedrich von Schillers sämmtliche Werke. Neunter Band. J.G. Cotta’sche Buchhandlung. 1814. Seite 4-238. Unveränderter Originaltext auf dieser Seite.