Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Vorrede zu der Geschichte des Malteserordens nach Vertot von M. N. bearbeitet

(Jena 1792) 

 

Der Tempelorden glänzte und verschwand wie ein Meteor in der Weltgeschichte; der Orden der Johanniter lebt schon sein siebtes Jahrhundert und obgleich der politischen Schaubühne beinahe verschwunden, steht er für den Philosophen der Menschheit für ewige Zeiten als eine merkwürdige Erscheinung da. Zwar droht der Grund einzusinken, auf dem er errichtet wurde und wir blicken jetzt mit mitleidigem Lächeln auf sseinen Ursprung hin, der für sein Zeitalter so heilig, so feierlich gewesen. Er selbst aber steht noch, als eine ehrwürdige Ruine, auf seinem nie erstiegenen Fels und verloren in Bewunderung einer Heldengröße, die nicht mehr ist, bleiben wir wie vor einem umgestürzten Obelisken oder einem Trajanischen Triumphbogen vor ihm stehen. 

Zwar wünschen wir uns nicht mit Unrecht dazu Glück, in einem Zeitalter zu leben, wo kein Verdienst wie jenes mehr zu erwerben, wo ein Kraftaufwand, ein Heroismus, wie er in jenem Orden sich äußert, ebenso überflüssig als unmöglich ist; aber man muss gestehen, dass wir die Überlegenheit unsrer Zeiten nicht immer mit Bescheidenheit, mit Gerechtigkeit gegen die vergangenen geltend machen. Der verachtende Blick, den wir gewohnt sind auf jene Periode des Aberglaubens, des Fanatismus, der Gedankenknechtschaft zu werfen, verrät weniger den rühmlichen Stolz der sich fühlenden Stärke, als den kleinlichen Triumph der Schwäche, die durch einen ohnmächtigen Spott die Beschämung rächt, die der höhere Verdienst ihr abnötigte. Was wir auch vor jenen finstern Jahrhunderten voraushaben mögen, so ist es doch höchstens nur ein vorteilhafter Tausch, auf den wir allenfalls ein Recht haben könnten stolz zu sein. Der Vorzug hellerer Begriffe, besiegter Vorurteile, gemäßigterer Leidenschaften, freierer Gesinnungen – wenn wir ihn wirklich zu erweisen imstande sind – kostet uns das wichtige Opfer praktischer Tugend, ohne die wir doch unser besseres Wissen kaum für einen Gewinn rechnen können. Dieselbe Kultur, welche in unserm Gehirn das Feuer eines fanatischen Eifers auslöschte, hat zugleich die Glut der Begeisterung in unseren Herzen erstickt, den Schwung der Gesinnungen gelähmt, die Taten reifende Energie des Charakters vernichtet. Die Heroen des Mittelalters setzten an einen Wahn, den sie mit Weisheit verwechselten und eben weil er ihnen Weisheit war, Blut, Leben und Eigentum; so schlecht ihre Vernunft belehrt war, so heldenmäßig gehorchten sie ihren höchsten Gesetzen – und können wir, ihre verfeinerten Enkel, uns wohl rühmen, dass wir an unsre Weisheit nur halb so viel, als sie an ihre Torheit, wagen? 

Was der Verfasser der Einleitung zu nachstehender Geschichte jenem Zeitalter als einen wichtigen Vorzug anrechnet, jene praktische Stärke des Gemüts nämlich, das Teuerste an das Edelste zu setzen und einem bloß idealistischen Gut alle Güter der Sinnlichkeit zum Opfer zu bringen, bin ich sehr bereit zu unterschreiben. Derselbe exzentrische Zug der Einbildungskraft, der den Geschichtsschreiber, den kalten Politiker an jenem Zeitalter irre macht, findet an dem Moralphilosophen einen weit billigern Richter, ja nicht selten vielleicht einen Bewunderer. Mitten unter allen Gräueln, welche ein verfinsterter Glaubenseifer begünstigt und heiligt, unter den abgeschmackten Verirrungen der Superstition, entzückt ihn das erhabene Schauspiel einer über alle Sinnenreize siegenden Überzeugung, einer feurig beherzigten Vernunftidee, welche über jedes noch so mächtige Gefühl ihre Herrschaft behauptet. Waren gleich die Zeiten der Kreuzzüge ein langer, trauriger Stillstand in der Kultur, waren sie sogar ein Rückfall der Europäer in die vorige Wildheit, so war die Menschheit doch offenbar ihrer höchsten Würde nie vorher so nahe gewesen, als sie es damals war – wenn es anders entschieden ist, dass nur die Herrschaft seiner Ideen über seine Gefühle dem Menschen Würde verleiht. Die Willigkeit des Gemüts, sich von übersinnlichen Triebfedern leiten zu lassen, diese notwendige Bedingung unsrer sittlichen Kultur, musste sich, wie es schien, erst an einem schlechtern Stoff üben und zur Fertigkeit ausbilden, bis dem guten Willen ein hellerer Verstand zu Hilfe kommen konnte. Aber dass es gerade dieses edelste aller menschlichen Vermögen ist, welches sich bei jenen wilden Unternehmungen äußert und ausbildet, söhnt den philosophischen Beurteiler mit allen rohen Geburten eines unmündigen Verstandes, einer gesetzlosen Sinnlichkeit auf, und um der nahen Beziehung willen, welche der bloße Entschluss, unter der Fahne des Kreuzes zu streiten, zu der höchsten sittlichen Würde des Menschen hat, verzeiht er ihm gern seine abenteuerlichen Mittel und seinen schimärischen Gegenstand.

Von dieser Art sind nun die Glaubenshelden, mit denen uns die nachfolgende Geschichte bekannt macht; ihre Schwachheiten, von glänzenden Tugenden geführt, dürfen sich einer weiseren Nachwelt kühn unter das Angesicht wagen. Unter dem Panier des Kreuzes sehen wir sie der Menschheit schwerste und heiligste Pflichten üben und, indem sie nur einem Kirchengesetz zu dienen glauben, unwissend die höhern Gebote der Sittlichkeit befolgen. Suchte doch der Mensch schon seit Jahrtausenden den Gesetzgeber über den Sternen, der in seinem eigenen Busen wohnt – warum diesen Helden es verargen, dass sie die Sanktion einer Menschenpflicht von einem Apostel* entlehnen und die allgemeine Verbindlichkeit zur Tugend, sowie den Anspruch auf ihre Würde, an ein Ordenskleid heften? Fühle man noch so sehr das Widersinnige eines Glaubens, der für die Scheingüter einer schwärmenden Einbildungskraft, für leblose Heiligtümer zu bluten befiehlt – wer kann der heroischen Treue, womit diesem Wahnglauben von den geistlichen Rittern Gehorsam geleistet wird, seine Achtung versagen? Wenn nach vollbrachten Wundern der Tapferkeit, ermattet vom Gefecht mit den Ungläubigen, erschöpft von den Arbeiten eines blutigen Tages, diese Heldenschar heimkehrt und, anstatt sich die siegreiche Stirne mit dem verdienten Lorbeer zu krönen, ihre ritterlichen Verrichtungen ohne Murren mit dem niedrigen Dienst eines Wärters vertauscht, – wenn diese Löwen im Gefecht hier an den Krankenbetten eine Geduld, eine Selbstverleugnung, eine Barmherzigkeit üben, die selbst das glänzendste Heldenverdienst verdunkelt, – wenn eben die Hand, welche wenige Stunden zuvor das furchtbare Schwert für die Christenheit führte und den zagenden Pilger durch die Säbel der Feinde geleitete, einem ekelhaften Kranken um Gottes willen die Speise reicht und sich keinem der verächtlichen Dienste entzieht, die unsere verzärtelten Sinne empören – wer, der die Ritter des Spitals zu Jerusalem in dieser Gestalt erblickt, bei diesen Geschäften überrascht, kann sich einer innigen Rührung erwehren? Wer ohne Staunen die beharrliche Tapferkeit sehen, mit der sich der kleine Heldenhaufen in Ptolomais, in Rhodos und späterhin auf Malta gegen einen überlegenen Feind verteidigt? Die unerschütterliche Festigkeit seiner beiden Großmeister Isle Adam und La Valette, die gleich bewundernswürdige Willigkeit der Ritter selbst, sich dem Tod zu opfern? Wer liest ohne Erhebung des Gemüts den freiwilligen Untergang jener vierzig Helden im Fort St. Elmo, ein Beispiel des Gehorsams, das von der gepriesenen Selbstaufopferung der Spartaner bei Thermopylä nur durch die größere Wichtigkeit des Zwecks übertroffen wird! Es ist der christlichen Religion von berühmten Schriftstellern der Vorwurf gemacht worden, dass sie den kriegerischen Mut ihrer Bekenner erstickt und das Feuer der Begeisterung ausgelöscht habe. Dieser Vorwurf – wie glänzend wird er durch das Beispiel der Kreuzheere, durch die glorreichen Taten des Johanniter- und Tempelordens widerlegt! Der Grieche, der Römer kämpfte für seine Existenz, für zeitliche Güter, für das begeisternde Phantom der Weltherrschaft und der Ehre, kämpfte vor den Augen eines dankbaren Vaterlands, das ihm den Lorbeer für sein Verdienst schon von fern zeigte. – Der Mut jener christlichen Helden entbehrte diese Hilfe und hatte keine andere Nahrung als sein eigenes unerschöpfliches Feuer. 

Aber es ist noch eine andre Rücksicht, auf welcher mir eine Darstellung der äußern und innern Schicksale dieses geistlichen Ritterordens Aufmerksamkeit zu verdienen schien. Dieser Orden nämlich ist zugleich ein politischer Körper, gegründet zu einem eigentümlichen Zweck, durch besondere Gesetze unterstützt, durch eigentümliche Bande zusammengehalten. Er entsteht, er bildet sich, er blüht und verblüht, kurz, er eröffnet und beschließt sein ganzes politisches Leben vor unsern Augen. Der Gesichtspunkt, aus welchem der philosophische Beurteiler jede politische Gesellschaft betrachtet, kann auch auf diesen mönchisch-ritterlichen Staat mit Recht angewendet werden. Die verschiedenen Formen nämlich, in welchen politische Gesellschaften zusammentreten, erscheinen demselben als ebenso viele von der Menschheit (wenngleich nicht absichtlich) angestellte Versuche, die Wirksamkeit gewisser Bedingungen entweder für einen eigentümlichen Zweck oder für den gemeinschaftlichen Zweck aller Verbindungen überhaupt zu erproben. Was kann aber unserer Aufmerksamkeit würdiger sein, als den Erfolg dieser Versuche zu erfahren, als die Statthaftigkeit oder Unstatthaftigkeit jener Bedingungen für ihre Zwecke an einem belebenden Beispiel dargetan zu sehen? So hat das menschliche Geschlecht in der Folge der Zeiten beinahe alle nur denkbaren Bedingungen der gesellschaftlichen Glückseligkeit – wenngleich nicht in dieser Absicht – durch eigene Erfahrung geprüft; es hat sich, um endlich die zweckmäßigste zu erhaschen, in allen Formen der politischen Gemeinschaft versucht. Für alle diese Staatsorganisationen wird die Welthistorie gleichsam zu einer pragmatischen Naturgeschichte, welche mit Genauigkeit auszählt, wie viel oder wie wenig durch diese verschiedenen Prinzipien der Verbindung für das letzte Ziel des gemeinschaftlichen Strebens gewonnen worden ist. Aus einem ähnlichen Gesichtspunkt lassen sich nun auch die souveränen geistlichen Ritterorden betrachten, denen der Religionsfanatismus in den Zeiten der Kreuzzüge die Entstehung gegeben hat. Antriebe, welche sich nie zuvor in dieser Verknüpfung und zu diesem Zweck wirksam gezeigt, werden hier zum ersten Mal zur Grundlage eines politischen Körpers genommen und das Resultat davon ist, was die nachstehende Geschichte dem Leser vor Augen legt. Ein feuriger Rittergeist verbindet sich mit zwangvollen Ordensregeln, Kriegszucht mit Mönchsdisziplin, die strenge Selbstverleugnung, welche das Christentum fordert, mit kühnem Soldatentrotz, um gegen den äußern Feind der Religion einen undurchdringlichen Phalanx zu bilden und mit gleichem Heroismus ihrem mächtigen Gegner von innen, dem Stolz und der Üppigkeit, einen ewigen Krieg zu schwören. 

Rührende, erhabene Einfalt bezeichnet die Kindheit des Ordens, Glanz und Ehre krönt seine Jugend; aber bald unterliegt auch er dem gemeinen Schicksal der Menschheit. Wohlstand und Macht, natürliche Gefährten der Tapferkeit und Enthaltsamkeit, führen ihn mit beschleunigten Schritten der Verderbnis entgegen. Nicht ohne Wehmut sieht der Weltbürger die herrlichen Hoffnungen getäuscht, zu denen ein so schöner Anfang berechtigte; aber dieses Beispiel bekräftigt ihm nur die unumstößliche Wahrheit, dass nichts Bestand hat, was Wahn und Leidenschaft gründete, dass nur die Vernunft für die Ewigkeit baut.

Nachdem, was ich hier von Vorzügen dieses Ordens habe berühren können, glaube ich keine weitere Rechtfertigung der Gründe nötig zu haben, aus denen ich veranlasst worden bin, das Vertotische Werk nach einer neuen Bearbeitung zum Druck zu befördern. Ob dasselbe auch der Ansicht vollkommen entspricht, welche mir bei Anempfehlung desselben vor Augen schwebte, wage ich nicht zu behaupten; doch ist es das einzige Werk dieses Inhalts, was einen würdigen Begriff von dem Orden geben und die Aufmerksamkeit des Lesers daran fesseln kann. Der Übersetzer hat sich, so viel immer möglich, bestrebt, der Erzählung, welche im Original sehr ins Weitschweifige fällt, einen raschern Gang und ein lebhafteres Interesse zu geben und auch da, wo man an dem Verfasser die Unbefangenheit des Urteils vermisst, wird man die verbessernde Hand des deutschen Bearbeiters nicht verkennen. Dass dieses Buch nicht für den Gelehrten und ebenso wenig für die studierende Jugend, sondern für das lesende Publikum, welches sich nicht an der Quelle selbst unterrichten kann, bestimmt ist, braucht wohl nicht gesagt zu werden; und bei dem letztern hofft man durch Herausgabe desselben Dank zu verdienen. Die Geschichte selbst wird schon mit dem zweiten Band beschlossen sein, da der Orden mit dem Ablauf des sechzehnten Jahrhunderts die Fülle seines Ruhmes erreicht hat und von da an mit schnellen Schritten in eine politische Vergessenheit sinkt.