Friedrich SchillerFriedrich Schiller

An den Herausgeber der Propyläen

 

   Ich komme von Betrachtung der Bilder zurück, die durch Ihre zwei letzten Preisaufgaben veranlasst wurden und noch lebhaft mit diesen Eindrücken beschäftigt, versuche ich es, die Gedanken zu ordnen und auszusprechen, welche diese interessanten Kunsterscheinungen in mir aufgeregt haben. Werke der Einbildungskraft haben das Eigentümliche, dass sie keinen müßigen Genuss zulassen, sondern den Geist des Beschauers zur Tätigkeit aufreizen. Das Kunstwerk führt auf die Kunst zurück, ja es bringt erst die Kunst in uns hervor. 

   Sie hatten es zwar bei diesen Preisangaben nur auf den Künstler abgesehen; aber auch dem bloßen Beschauer haben Sie durch dieses Institut eine reiche Quelle von Vergnügen und Belehrung eröffnet. Diese neunzehn und wieder diese neun Ausführungen des nämlichen Gegenstandes gewähren ein ganz eigenes Interesse des Verstandes, wovon freilich derjenige keinen Begriff hat, der sich den Eindrücken künstlerischer Werke nur gedankenlos hingibt. Eine gleich große Anzahl wirklicher Meisterstücke, aber von verschiedenem Inhalt, würde uns unstreitig einen höhern Kunstgenuss, aber vielleicht keinen so reichen Begriff von der Kunst verschafft haben, als diese vielseitige Behandlung desselben Themas mir wenigstens gegeben hat. 

   Zuerst ein Wort von den Preisaufgaben selbst. In Sachen der schönen Kunst wird die Möglichkeit nur durch die Tat bewiesen; aus Begriffen kann man höchstens voraus wissen, dass ein gegebenes Thema der künstlerischen Darstellung nicht widerstreitet. Der Erfolg hat die Wahl der beiden Sujets gerechtfertigt, denn aus beiden sind wirklich, unter geschickten Händen, sprechende, selbstständige und anmutige Bilder geworden. 

   Obgleich die Kunst unzertrennlich und eins ist und beide, Phantasie und Empfindung, zu ihrer Hervorbringung tätig sein müssen, so gibt es doch Kunstwerke der Phantasie und Kunstwerke der Empfindung, je nachdem sie sich einem dieser beiden ästhetischen* Pole vorzugsweise nähern; zu einer von beiden Klassen aber muss jedes künstliche und poetische Werk sich bekennen, oder es hat gar keinen Kunstgehalt. Sie haben bei diesen zwei Preisaufgaben dafür gesorgt, dass jeder Künstler in seiner Sphäre beschäftigt würde und derjenige, den die Natur reich genug ausstattete, auf beiden Feldern der Kunst glänzen konnte. 

   Hektors Abschied qualifizierte sich zu einem naiven und seelenvollen Empfindungsgemälde; der Raub der Pferde des Rhesus, ein Nachtstück, war zu einem kühnen, kraftvollen Phantasiebilde geeignet. Beide Aufgaben konnten, in Absicht auf den innern Kunstgehalt, für gleichbedeutend gelten und mochten, für die Ausführung im Ganzen genommen, gleich viel oder wenig Schwierigkeiten darbieten. Das Naturell und die Neigung des Künstlers musste also die Wahl entscheiden, und es ließ sich voraussehen, wohin sich das Übergewicht neigen würde. Der erste Gegenstand spricht an das Herz, und der Deutsche hat seinen schätzbaren Charakter auch bei dieser Gelegenheit nicht verleugnet. 

   Indem die Gegenstände gegeben wurden, waren die Momente der Handlung und die Motive unentschieden gelassen: Hier also war das Feld der Erfindung. Zwei Helden, dem Begriff gemäß, den wir uns von Diomed und Ulysses bilden, zeigen sich in der Finsternis der Nacht in dem trojanischen Lager, wo thrakische Krieger mit ihrem König schlafend liegen. Indem Diomed die Schlafenden erwürgt, bemächtigt sich Ulyß der schönen, weißen Pferde des Königs. Sie müssen eilen, um nicht übersehen zu werden und Diomed verlässt ungern den Schauplatz. 

   Hier war nun die Wahl des Moments von der höchsten Bedeutung. Der Künstler konnte den Augenblick des wirklichen Ermordens, er konnte den Augenblick nach der Tat und unmittelbar vor dem Abzug darstellen. Blieb er bei dem ersten Moment stehen, so war das Bild nicht nur an Gehalt ärmer, es konnte auch einen widrigen Eindruck auf das Gefühl machen: Die nächtliche Ermordung schlafender Menschen hat etwas Schändendes für einen Helden. Der König, welcher ermordet wird, wurde dadurch die Hauptperson, unser Mitleid wurde interessiert und das Bild bekam einen pathetischen Charakter, den es durchaus nicht haben sollte. Wählte hingegen der Künstler den Augenblick nach der Tat, wo beide Helden auf ihre Entfernung denken, so kam ein ganz anderer Geist in das Gemälde. Das Gefühlempörende wurde mit Schatten bedeckt, die Ermordeten waren nur als Masse noch übrig, ohne dass ein Einzelner aus denselben einen Anspruch an unsere Teilnahme machte; wir schauen nicht unmittelbar an, sondern erfahren nur durch einen Schluss, dass sie im Schlaf ermordet worden und was die Hauptsache ist, Ulyß und Diomed sind dann die eigentlichen Helden des Bildes, es ist ihre Kühnheit, die uns interessiert, ihr glückliches Entkommen, was uns beschäftigt. 

   Aber auch so wird dem Bild noch immer ein wesentlicher Teil der sinnlichen Bedeutsamkeit und der Würde abgehen. Ulyß und Diomed werden immer nur als zwei nächtliche Mörder und Räuber erscheinen; die Handlung wird also, auch wenn sie ihr Empörendes verliert, wenigstens gemein und gleichgültig für uns sein. Etwas muss geschehen, um die Helden, um ihre Tat emporzuheben; dies geschieht durch die Gegenwart und den Anteil einer Göttin. Der Künstler durfte diese nicht weit suchen; auch im Homer erscheint die Pallas* und treibt beide Helden, zu eilen. Durch Einführung der Göttin wird, für den Gedanken, noch dieses gewonnen, dass die nächtliche Tat einen Zeugen hat, dass durch ihre Geste die Notwendigkeit der Flucht sinnlich klar wird und für die Ausführung des Bildes entsteht der große Gewinn, dass die nächtliche Szene mit einem göttlichen Licht kann erleuchtet werden. 

   Einen Künstler, der keinen tiefen Gedankengehalt in sein Bild zu legen wusste, konnte, bei der zweiten Aufgabe, schon der Effekt der Massen und Kontraste anlocken und bei der Ausführung befriedigen. Der geschickte Verfertiger des Bildes Nr. 5, wo in der Mitte des Ganzen zwei milchweiße Pferde sich erheben, Diomed im Hintergrund noch in dem Morden begriffen ist und beide Helden als Nebenfiguren gegen die Tiere verschwinden, scheint sich bloß mit einer angenehmen Wirkung der Schatten und Lichter begnügt zu haben. Das Bild ist sanft und gefällig fürs Auge, aber der Gedanke ist gemein und der Künstler hat von seinem Gegenstand nur das nächste Prosaische ergriffen. Denn warum zwei Heldenfiguren hervorrufen und durch Ankündigung einer bedeutenden Tat Erwartung erregen, wenn es um nichts weiter zu tun ist, als was auch durch eine gefällige Anordnung von Stillleben geleistet werden kann? Es war übrigens kein Wunder, dass eben dieses Bild bei vielen Zuschauern die Palme davontrug. Die Wirkung des Gefälligen ist unfehlbar: Es setzt nichts voraus und lässt sich völlig gedankenlos genießen. 

   Zwei andere, größere Bilder (Nr. 3 und 4) desselben Inhalts stellen gleichfalls nur den Augenblick der Ermordung dar. Der König liegt noch schlafend, das Schwert ist über ihm gezückt, Ulysses hat sich der Pferde bemächtigt. Die Ausführung ist kräftiger, die Handlung reicher, als bei dem vorerwähnten Bild, die Helden sind den Pferden nicht aufgeopfert. Aber der Gedanke erhebt sich nicht über das Gemeine, das Bild spricht bloß zu dem Auge, ohne die Imagination anzuregen, und die geschickte, fleißige Ausführung kann den fehlenden Geist nicht ersetzen. 

   Zwei andere Bilder (Nr. 6 und 7) zeigen uns zwar schon die Göttin, aber ihre Gegenwart erhebt das Bild nicht, ob sie gleich eine höhere Intention des Künstlers verrät. Der Moment ist bedeutender, die Ermordung ist geschehen; auf dem einen, wo die Figuren bloß im Umriss gezeichnet sind, hat sich Ulyß auf eins der Pferde geschwungen, der Augenblick des Forteilens ist ausgedrückt; auf dem andern wird noch Rat gehalten, aber die Szene ist zu ruhig, es fehlt an Leben und Bedeutung. 

   In einem höhern Geist sind zwei andere Bilder desselben Inhalts gedacht und ausgeführt. 

   Die Göttin erscheint (Nr. 2) über den erschlagenen Leichen und das Licht, das sie umfließt, beleuchtet die nächtliche Szene. Diomedes ruht in einer nachdenkenden Stellung mit aufgehobenem Fuß auf einem Leichnam und bedenkt sich, das Schwert in die Scheide zu stecken. Bedeutend erhebt die Göttin den Zeigefinger der rechten Hand, um ihn zu warnen, und mit der ausgestreckten Linken zeigt sie ihm den Weg. Ulysses, den Bogen in der Hand, hält die sich bäumenden Pferde am Zügel und strebt schon in einer raschen Bewegung fort, nach dem säumenden Gefährten zurückschauend. Beide Helden sind nackt, nur ein Mantel flattert um den eilenden Ulyß und ein Löwenfell hängt über den Rücken des Diomedes. Jener, dessen kräftig gezeichnete Figur am meisten hervordringt, bringt in das Ganze eine lebhafte Bewegung, welche gegen die sinnende Ruhe des Diomedes einen vielleicht nur zu starken Abstich macht. 

   Mit diesem Bild sind wir in die geistige Welt der Kunst eingetreten. Das gemeine Wirkliche ist uns aus den Augen gerückt, nur das Bedeutende ist aufgenommen. Noch um einen Schritt weiter in das Reich der Einbildungskraft führt uns das andere (Nr. 1), mit dem sich diese Galerie der Rhesusbilder würdig abschließt. 

   Der vorige Künstler hatte uns das trojanische Lager gezeigt und uns mit einem engen Raum umschränkt, indem er die Szene durch die Mauern von Troja begrenzte. Ein glücklicher Gedanke des gegenwärtigen hingegen war es, die griechischen Zelte und Schiffe in die Tiefe des Bildes zu setzen, auf dem wir dadurch gleichsam heraus getrieben werden. Er öffnet mit einem kühnen Griff seinen Schauplatz und wir übersehen zugleich die Szene der Handlung und das Ziel der Flucht. 

   Drei Punkte des Bildes ziehen uns sogleich durch ganz verschiedene Mittel an. Das Auge, welches zuerst dem lebhaftesten Licht folgt, fällt auf eine malerische, schön pyramidenförmig geordnete Masse von vier milchweißen Pferden, welche Ulysses eben forttreiben will. Er wendet dem Zuschauer den Rücken; nur der Kopf ist ein wenig nach der Szene gedreht. Sein Mantel, so wie die Mähnen und Decken der Pferde, sind in einer fliegenden Bewegung; dieser hell glänzenden und rasch bewegten Gruppe setzt sich die ruhige, dunkle Masse leblos liegender Körper im Vordergrund und die still liegende Ferne des Hintergrundes schön entgegen. 

   Sobald der erste gewaltsame Sinnenreiz nachlässt, so wendet sich der Verstand zu dem Bedeutungsvollen: Dies findet er hier sehr geistreich in der Mitte des Bildes. Diomedes, in eine Löwenhaut gehüllt, den Schild in der linken Hand, steht an dem Wagen des Rhesus, den er mit der Rechten anfasst. als ob er sich denselben zueignen wollte. An dem Rand des Wagens liegt der Erschlagene, durch die neben ihm liegende Helmkrone kenntlich, in schön verkürzter Lage hingestreckt. So rasch sich Ulyß und die Pferde bewegen, so ruhig steht Diomedes, nur das Gesicht ist unzufrieden nach der Erscheinung zur Linken hingerichtet. 

   Hier schwebt in einer Wolkenumgebung, schlank und schön gebildet, Minerva* herab und bedeutet mit ausgestreckter Rechten den Säumenden, fortzueilen. Die Wolke, in der sie erscheint, wälzt sich malerisch wie ein daherströmender Nebel um den Wagen des Rhesus herum und fasst auf diese Art die ganze Mordszene mit einem geheimnisvollen Vorhang ein, der sich nur auf der rechten Seite öffnet, um den Blick nach dem griechischen Schifflager zu erweitern. Alle Partien des Bildes schmelzen in einer angenehmen Harmonie von Licht und Schatten und Reflexen ineinander. 

   Man erfährt bei diesem Bild den heitern Einfluss einer phantasiereichen Kunst, nach Kunstideen ist alles gewählt und geordnet, nichts Einzelnes ist der gemeinen Wirklichkeit abgeborgt; alles repräsentiert nur und hat nur Dasein für den Gedanken und durch denselben.

   Es ließ sich für diese beiden Aufgaben von einer doppelten Seite her Gefahr befürchten. 

   Der Raub der Pferde des Rhesus ist, als bloßes Faktum betrachtet, gleichgültig und ohne allen Gehalt für das Herz; hier musste also die Phantasie ihre Macht beweisen und der Gedanke statt des wirklichen Gegenstandes eintreten. Wurde dieses Bild bloß mit einer treuen Sinnlichkeit und natürlichen Wahrheit behandelt, so musste es leer und charakterlos ausfallen. Aber eben diese natürliche Wahrheit ist das Gespenst der Zeit und dem Deutschen insbesondere wird es schwer, sich mit freier Dichtungskraft über das gemein Wirkliche zu erheben. Diesem Stoff also, der sein Gefühl nicht ansprach, konnte ein Künstler von gewöhnlichem Schlag nicht viel abgewinnen und eben dies scheint die meisten von diesem Sujet zurückgeschreckt zu haben. 

   Der Abschied des Hektor ist schon als Stoff und ohne allen Zusatz der Kunst ein rührender Gegenstand und konnte mit einem mäßigen Aufwand von Phantasie, selbst durch naive Wahrheit, ein sprechendes Bild abgeben. Aber hier war der sentimentalische Hang der Nation und des Zeitalters zu fürchten, welcher zum wahren Verderben aller bildenden Kunst auch auf diesem Feld wie auf dem poetischen überhand genommen hat. Ein weinerlicher Hektor und eine zerfließende Andromache* waren zu fürchten, und sie sind auch nicht ausgeblieben. Ich bezeichne die Werke nicht, da sie sich leicht von selbst herausfinden. 

   Es war in diesem einfach scheinenden Stoff ein doppeltes Verhältnis auszudrücken: Hektor sollte als liebender Gatte und als zärtlicher Vater erscheinen. Nicht leicht war die Aufgabe, jedem dieser Verhältnisse sein volles Recht anzutun, ohne gegen die Einheit des Bildes zu verstoßen. Eines musste notwendig zur Hauptsache gemacht werden, weil keine doppelte Handlung von gleicher Bedeutung erlaubt war und die Kunst bestand darin, die prägnanteste zu wählen. 

   Einige der konkurrierenden Künstler haben sich begnügt, bloß den Abschied des Gatten von der Gattin voranstellen und sind folglich unter der Aufgabe geblieben. Das Kind auf den Armen der Wärterin oder der Mutter ist nur ein Zeuge der Handlung. Hektor selbst ist so jugendlich und weichlich gehalten, dass man bloß den Abschied zweier Liebenden vor sich zu sehen glaubt. Dies ist unstreitig der unglücklichste Einfall, der sich am weitesten von der Aufgabe entfernt; denn an den Krieger und den Held, der der Schirm seiner Vaterstadt sein soll, ist hier nun gar nicht zu denken. Es ist auf eine Rührung angelegt, die diesem Stoff ganz und gar fremd ist. 

   Andere schlugen den entgegengesetzten Weg ein; indem sie den Vater ausschließend mit dem Kind beschäftigen, lassen sie die Mutter und Gattin eine untergeordnete Rolle spielen. Diese entfernen sich weniger von dem Geist der Forderung, weil der Ausdruck des väterlichen Charakters sich mit dem männlichen Ernst des Helden sehr wohl verträgt. Und da die Mutter sich durch sich selbst schon in die Handlung einmischen kann, so konnte sie nicht bedeutungslos erscheinen. 

   Auf einem der vorzüglichsten Stücke in der Sammlung (Nr. 24), einem Ölgemälde, scheint der Künstler beabsichtigt zu haben, Mutter und Kind in einer Umarmung zusammen zu fassen. Hektor breitet seine Arme nach dem Kind aus, das auf den Armen der Wärterin vor ihm zurück flieht, während dass sich Andromache* zwischen diesen, nach dem Kind ausgestreckten Armen an seinen Leib schmiegt; aber er selbst zeigt sich keineswegs mit ihr beschäftigt, seine ganze Bewegung bezieht sich auf das Kind, sie scheint überflüssig und eher ein Hindernis zu sein. 

   Nun war die zweite Frage, für das Pathetische der Situation den wahrsten und zugleich würdigsten Ausdruck zu finden – denn es sollte der Abschied eines Helden sein, der Gattin und Kind zurücklässt, um in eine Todesgefahr zu gehen; man sollte einen letzten, ewigen Abschied ahnen. Auf der andern Seite sollte sich der Held über den Schmerz erhaben zeigen, Andromache* sollte sich auch in dieser schmerzlichen Situation seiner wert beweisen, unser Herz sollte nicht zerrissen, sondern durch die Rührung selbst gestärkt und erhoben werden. 

   Einer der konkurrierenden Künstler (Nr. 13), dem die Natur einen heitern Sinn und ein schönes naives Gefühl verliehen, aber die Stärke und Tiefe der Empfindungen scheint versagt zu haben, hat sich auf die einfachste Weise aus der Verlegenheit gezogen, indem er die ganze Aufgabe in eine zärtliche Familienszene verwandelt, worin von dem tragischen Inhalt der Situation wenig oder gar nichts zu spüren ist. Hektor unterhält sich mit dem Kind, das auf dem linken Arm der Wärterin ist und sich vor dem Vater zu scheuen scheint. Die Amme deutet mit einer sprechenden Bewegung auf den Vater, als ob sie das Kind mit demselben bekannt machen wollte. An Hektors rechte Seite schmiegt sich Andromache*; er hat ihr den einen Arm liebevoll hingegeben, indem er den andern dem Kind schmeichelnd entgegen streckt. Jede der drei Figuren belebt ein naiver, äußerst glücklich gewählter Ausdruck, ein freundliches Lächeln spielt um den Mund des Vaters und Andromaches* seelenvoller Blick schwimmt zwischen Heiterkeit und Tränen. Alles akkordiert zu einer schönen lieblichen Gruppe und spricht das Gemüt schnell und entscheidend an. Man lässt augenblicklich von der Strenge der Kunstforderungen nach, weil man einer schönen Natur begegnet und wird unwillig über den gerechten Tadler, der die Zeichnung, die Farbengebung und die ganze malerische Anlage fehlerhaft und außerdem das Bild mit Unschicklichkeiten überladen findet. Denn der Künstler schien das Heroische, das er in die Handlung selbst nicht zu legen wusste, in der Umgebung nachholen zu wollen und erfüllte deswegen den Rand der Mauern und Türme, unter welchen die Szene vorgeht, mit einer Million Spieße tragender Trojaner, welche auf diese Familiengruppe herabschauen. 

   Sowie man auf diesem Bild das Pathetische ganz vermisst, so ist demselben auf zwei andern, sonst sehr tüchtig gearbeiteten Bildern zu viel Raum gegeben und von dem heroischen Charakter des Helden zu viel aufgeopfert worden. Sie erregen daher ein gewisses peinliches Gefühl und man mag nicht gern dabei verweilen. Auf dem einen missfällt noch besonders die abgewandte Stellung des Hektor und der Ausdruck hilflosen Schmerzens in seiner Gebärde. Dem andern (Nr. 19) scheint eine gewisse kranke Blässe zu schaden, welche dadurch entsteht, dass die Zeichnung zum Teil koloriert ist und auf einen Farbeneffekt Anspruch macht, aber gerade da, wo die energische Farbe verlangt wird, die tote Kreide gebraucht worden ist. 

   Mehrere und zwar die geschicktesten Meister lassen ihren Helden sich an die Götter wenden und das Kind ihrem Schutz übergeben. Diese Handlung ist schicklich, ausdrucksvoll und edel. Das Vertrauen auf die Götter erlaubt einen mutigen, heitern und selbst im Affekt* beruhigten Ausdruck und die Handlung erhält dadurch einen feierlichen Charakter. Das Kind auf den Armen des Vaters, besonders wenn es hoch empor gehalten wird, wie auf den zwei vorzüglichsten (Nr. 25 und 26) Bildern in dieser Reihe der Fall ist, bildet einen bedeutenden Gipfel der Gruppe. Das Kind wird uns zugleich zu einem Symbol der hilflosen Stadt; beide scheint Hektor in die Hand der Götter zu geben. 

   Es finden sich zwei nach Art der Basreliefs gearbeitete Bilder (Nr. 20 und 21), wo der Künstler im Geist der alten Bildhauerwerke des Pathetischen nicht bedurfte, um bedeutend zu sein. Ernst und ruhig steigt der gewaffnete Hektor die Stufen seines Hauses herab; sein Körper ist schon den Kriegern zugewendet, die mit dem Schlachtross auf ihn warten. Nur das Gesicht kehrt sich nach der Andromache*, die sich mit leidender Miene an ihn anschmiegt und ihn nicht lassen will. Ihr zur Seite steht die Wärterin, das Kind auf den Armen, mit noch andern Jungfrauen. Ganz mit der weisen Bedeutsamkeit der Alten hat uns hier der Künstler die Situation mehr durch symbolische Zeichen als durch Nachahmung des Wirklichen vorgebildet. Alles stellt mehr vor, als es ist; es gilt zwar für sich selbst und weist doch auf etwas anderes hin; es ist nur der sinnvolle Buchstabe, in welchem der Geist verhüllt liegt. Die weibliche Reihe mit dem Kind bedeutet uns das Innere eines Hauses, welches von dem Hausvater jetzt verlassen wird. Die Krieger gegenüber mit ihren Waffen und dem wartenden Streitross rufen uns die unerbittliche Notwendigkeit in die Seele. Das ernste, doch nicht traurige Herabsteigen des Helden steht ihm wohl an; er braucht nicht die Götter, er ruht auf sich selbst; die zärtliche Bekümmernis der Gattin ist dem Ganzen gemäß. Nur sie selbst ist zu klein und zu dürftig gegen die kolossale Figur des Helden und stört den antiken Sinn des Ganzen durch ihre moderne, schwächliche Erscheinung. 

   Auch in Behandlung der Amme, als der dritten Figur, hat sich das Genie der verschiedenen Künstler charakterisiert. Einige, die zu der Höhe des Gegenstandes nicht hinauf langen konnten, haben mit ihrem Genie gerade die Amme noch erreicht und diese ist dann die gelungenste Figur des Bildes geworden. Hier in corpore vili konnte der Künstler der beliebten Natürlichkeit mit dem mindesten Nachteil folgen, obgleich der gute Geschmack auch hier eine edlere Behandlung zur Pflicht machte. Von der stupiden Gleichgültigkeit an bis zur koketten Leichtfertigkeit ist sie auf diesen Bildern durchgeführt worden. Diesen letztern Charakter trägt sie auf einer bunt getuschten Zeichnung, die ich Ihnen hier nur durch die zwei unschicklich angebrachten Säulen, die das Tor versperren, bezeichnet haben will. Das Bild ist auf das gefälligste, nach Art eines bunten englischen Kupferstichs, behandelt, die Figur der Andromache* voll Anmut, die Amme aber besonders geistreich gedacht. Nur einen Hektor wusste der Künstler sich nicht zu denken und sich überhaupt nicht zu der Höhe seines Gegenstandes zu erheben. 

   Dagegen ist auf den zwei vorhin erwähnten Bildern, in welchen Hektor seinen Sohn zum Himmel empor hält, die Amme ein wirklich bedeutender und integranter Teil der Handlung und zu der Würde des Ganzen veredelt. Auf dem einen (Nr. 25) steht sie in einer sehr geistreich gedachten Stellung abgewendet, und es ist dem Künstler gelungen, uns gerade durch das, was er verhüllte, desto tiefer zu rühren. Auf dem andern Bild (Nr. 26), dessen ich nachher noch umständlicher gedenken werde, hat ihr der Künstler eine noch größere, wenn nicht zu große Bedeutung gegeben. 

   Bei dieser Abschiedsszene Hektors war das Lokale keineswegs unwichtig, und die Handlung konnte nur vermittelst desselben ihre volle Erklärung erhalten. Wenn sich der Künstler nicht der Freiheit der Symbole bediente, so musste er die Szene unter oder an das Trojanische Tor verlegen und je sprechender er die Umgebung machte, desto mehr Ausdruck kam in die Handlung. Es ist daher nicht zu billigen, dass aus einigen Bildern die Szene an eine ganz öde und gleichgültige Stelle an der Stadtmauer verlegt ist. Die Handlung entbehrt dadurch ihren bedeutenden Hintergrund und ihren öffentlichen Charakter, der jenen alten Zeilen so gemäß ist, obgleich das andere Extrem, wo der Künstler einen opernmäßigen Hofstaat um seine Personen herum verbreitet, noch weit mehr Tadel verdient. 

   Man hat alle Ursache, sich über den Fleiß, über die Kunstfertigkeit, über das Sentiment, über den Geist und Geschmack zu erfreuen, die bei diesen Bildern, bald mehr bald weniger verbunden, zur Erscheinung gekommen sind. Von der Gefühlsinnigkeit an, bei welcher die Kunst anfängt, bis zu der heitern Imagination, wodurch sie sich frei und selbständig erklärt und zu der geistreichen vollendenden Anmut, wodurch sie sich, auf ihrem weiten Weg, wieder zur Natur zurück findet, sind Proben gegeben worden. Mehrere dieser Bilder sind wahrhaft schön gedachte Ganze: Andere empfehlen sich durch irgendeine glückliche Anlage oder durch eine erworbene Fertigkeit, einige durch ein vollendetes Talent in Absicht auf gewisse Teile der malerischen Ausführung. Wenn man aber alle der Reihe nach durchlaufen hat, so wird man zuletzt mit erhöhter Zufriedenheit zu (Nr. 26) der braunen Zeichnung, wie sie das Publikum sie nannte, ehe man den Namen des Künstlers, Hrn. Nahls, erfuhr, zurückkehren, welche auch den Blick zuerst angezogen hat. 

   Hektor hebt den Astyanax* mit einem heitern Blick des Vertrauens zu den Göttern empor. Andromache*, eine schöne Gestalt, im Geist der Antiken gezeichnet, lehnt sich an die rechte Seite des Helden, auf ihm als ihrem Gott scheint sie zu ruhen, kein Ausdruck des Schmerzens entstellt ihre reinen Züge. Zur Linken Hektors in weiterem Abstand von ihm und durch den Helm, der auf dem Boden liegt, von ihm geschieden, kniet die Wärterin, das heitre Gebet des Helden mit einem schmerzvollen Flehen aus tiefer, geängstigter Brust begleitend. Auf sie, als die niedrigere Natur, hat der weise Künstler die ganze Schale der Leidenschaft ausgegossen, die er für diese Szene bereit hielt; aber in ihrem Affekt* ist nichts Unwürdiges, es ist nur das Heftige der Inbrunst, was ihn bezeichnet. Die Handlung geschieht unter dem Tor, dessen edle Architektur* würdig zum Ganzen stimmt. Hinter der Amme öffnet sich dasselbe in einem schönen freien Bogen; man sieht den Wagen Hektors, der Führer hält die Pferde an, ein Krieger ist näher getreten und setzt die Hauptszene mit der Handlung des Hintergrundes in Verbindung. 

   Dies ist der poetische Gedanke des Bildes; aber der edle Stil, die Einheit, die leichte Hand, die Reinlichkeit und Anmut in der Behandlung kann nur empfunden, nicht durch Worte ausgedrückt werden. Man fühlt sich tätig, klar und entschieden; die schönste Wirkung, die die plastische Kunst bezweckt. Das Auge wird gereizt und erquickt, die Phantasie belebt, der Geist aufgeregt, das Herz erwärmt und entzündet, der Verstand beschäftigt und befriedigt.